- Versicherungsschutz der Arbeitszeit
- Private Erledigungen
- Ist ein Unfall beim Mittagessen versichert?
- Einkauf von Lebensmitteln
- Wo beginnt und endet der Versicherungsschutz?
- „Blaupause“: Kein Versicherungsschutz beim Rauchen
- Sturz beim Erholungsspaziergang
- Fazit und Praxistipp
1. Versicherungsschutz der Arbeitszeit
Neben Fehlzeiten wegen Krankheit kommt es auch immer wieder zu Arbeitsunfällen. Arbeitnehmer sind während der Arbeitszeit gesetzlich unfallversichert. Ebenfalls versicherungsgeschützt sind die Wege von oder zur Arbeit und damit auch entsprechende Wege während der Arbeitspausen, etwa in der Mittagspause. Bei einem Unfall kann das wichtig werden: Denn wer stürzt oder in einen Verkehrsunfall verwickelt wird, bleibt sonst auf entstandenen Kosten im Zweifel „sitzen“.
Allerdings bedeutet das nicht, dass Arbeitnehmer während der gesamten Mittagspause „pauschal“ und in jedem Fall versichert sind. Für einen Versicherungsschutz erforderlich ist vielmehr ein Zusammenhang des Weges bzw. der Tätigkeit, bei der der Unfall passiert ist mit der Arbeit, also ein „Arbeitsbezug“. Ereignet sich ein Unfall dagegen während eines „Privatgangs“ in der Mittagspause, greift der Versicherungsschutz nicht. Mitunter muss hier genau hingeschaut werden, ob ein solcher Arbeitsbezug wirklich vorliegt – und das tun auch unsere Gerichte: So ist etwa der Weg zum Mittagessen versichert, nicht aber das Mittagessen an sich. Es gilt also regelmäßig: „Stolpern ja – verschlucken nein“.
2. Private Erledigungen
Eine Sekretärin stürzte in der Mittagspause und meldete den Unfall ihrer Berufsgenossenschaft. Diese lehnte eine Entschädigung ab, denn die Sekretärin sei auf dem Weg zu einer Reinigung gewesen, um Kleidungsstücke abzuholen. Diese private Erledigung sei kein Arbeitsunfall. Die Sekretärin erwiderte, sie habe lediglich auf dem Weg zum Mittagessen in einem Fast-Food-Restaurant in der Reinigung neben dem Restaurant ihre Kleidung abgeholt. Das Landessozialgericht (LSG) Hessen gab in seinem Urteil vom 25.03.2015 (Az. L 3 U 225/10) der Berufsgenossenschaft recht: Der private Gang zur Reinigung habe im Vordergrund gestanden. Wer sich auf einen (versicherten) Arbeitsgang zum Mittagessen beruft, muss dies vor Gericht nachweisen.
3. Ist ein Unfall beim Mittagessen versichert?
Während der Gang zum oder vom Mittagessen als versicherter Wegeunfall, also als Unfall auf dem Weg von oder zurück zur Arbeit eingeordnet wird, gilt das Mittagessen an sich als „Privatangelegenheit“: Wer sich also beim Essen verschluckt und dadurch einen Unfall erleidet, ist nicht versichert. Etwas anderes kann aber dann gelten, wenn die Nahrungsaufnahme einer „spezifischen Stärkung der Arbeitsleistung“ dient: Wer etwa eine besonders anstrengende und schweißtreibende körperliche Arbeit verrichtet, z.B. Kohle schaufeln in einem Heizungskeller, ist versichert, wenn er sich bei der Arbeit beim Öffnen einer Getränkedose verletzt. Denn im genannten Beispiel ist die Getränkeeinnahme notwendig, um die Arbeitserbringung zu gewährleisten.
Für insoweit normale Fälle gilt dies freilich nicht: Das Sozialgericht Dresden (Beschl. vom 01.10.2013 – Az. S 5 U 113/13) hatte einen Fall zu beurteilen, in dem ein Arbeitnehmer beim Warten an einem Kopiergerät ein Getränk öffnete und sich beim Trinken mehrere Zahnspitzen abbrach. Das Gericht verneinte einen Arbeitsunfall – das Trinken stelle hier lediglich ein menschliches Grundbedürfnis ohne besonderen Arbeitsbezug dar; die Kopiertätigkeit sei auch keine besonders anstrengende Arbeit, die ein besonderes Durstgefühl hervorrufe.
4. Einkauf von Lebensmitteln
Wer in der Pause Lebensmittel einkauft, um diese als Pausenmahlzeit später auf der Arbeit zu essen, ist bei dieser Tätigkeit versichert. Wer allerdings bei dieser Gelegenheit den Großeinkauf für zu Hause tätigt, fällt nicht mehr unter die Unfallversicherung, wenn ihm dabei etwas passiert. Entscheidend ist stets, ob überwiegend „eigenwirtschaftlich“, also zum eigenen privaten Interesse gehandelt wird oder ob die Tätigkeit im Zusammenhang mit der Arbeit steht (LSG Hessen v. 25.03.2015 – Az. L 3 U 225/10).
Ob dieser Zusammenhang vorliegt oder nicht hängt oft von „Kleinigkeiten“ ab: So ist das Mittagessen selbst – etwa in einer Kantine – nicht versichert, allerdings der Gang zur Kantine. Wo aber beginnt und endet der Versicherungsschutz genau? Ist der „Gang in der Kantine“ noch unfallversichert? Diese Frage ist Thema des nächsten Beispiels:
5. Wo beginnt und endet der Versicherungsschutz?
Eine angestellte Lehrerin eines Gymnasiums in Karlsruhe ohne eigene Kantine besuchte wie üblich die Kantine der Sparkassenfiliale in der Nähe. Auf dem Rückweg vom Essen verdrehte sich die Lehrerin auf einer Treppenstufe außerhalb der Kantine, aber noch innerhalb des Sparkassengebäudes das Knie und erlitt einen Kreuzbandriss.
Das Sozialgericht Karlsruhe (Urteil vom 05.03.2013 – Az. S 1 U 4282/12) urteilte: Der Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung für Wege zum und vom Mittagessen beschränkt sich auf den öffentlichen Verkehrsraum. Im vorliegenden Fall endete der Versicherungsschutz auf dem Hinweg zum Essen an der Außentür des Gebäudes (hier: der Sparkasse), in dem die Kantine liegt. Entsprechendes galt für den Rückweg – der Versicherungsschutz bestand erst wieder außerhalb des Kantinengebäudes. Der Lehrerin wurde daher die Anerkennung ihres Unfalls als Arbeitsunfall verweigert, da sich der Unfall auf einer Treppe innerhalb des Gebäudes und noch nicht im versicherten öffentlichen Verkehrsraum (der Straße) außerhalb des Kantinengebäudes ereignete.
6. „Blaupause“: Kein Versicherungsschutz beim Rauchen
Eine Pflegehelferin in einem Berliner Seniorenheim war für ihre Raucherpause vor die Tür gegangen, prallte auf dem Rückweg in der Eingangshalle mit dem Haushandwerker zusammen, der einen Eimer Wasser trug und verschüttete. Sie rutschte daraufhin aus, stürzte und brach sich den Arm. Das Berliner Sozialgericht (Urt. v. 23.01.2013 – Az. S 68 U 577/12) sah für einen Versicherungsschutz „rot“ und verneinte das Vorliegen eines Arbeitsunfalls: Das Rauchen stellt eine persönliche Angelegenheit ohne Bezug zur Arbeit dar und dient auch nicht zur Erhaltung oder Stärkung der Arbeitskraft.
7. Sturz beim Erholungsspaziergang
Vor dem Sozialgericht Freiburg (Urt. v. 16.10.2012 – Az. S 9 U 4167/11) war über einen Sturz einer Frau bei Glatteis bei einem Mittagsspaziergang zu befinden: Die Berufsgenossenschaft hatte das Vorliegen eines Arbeitsunfalls abgelehnt und sich dabei auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts berufen: Versichert ist der Weg in der Pause regelmäßig nur dann, wenn Mittagessen zu sich genommen oder eingekauft wird.
Das Sozialgericht entschied in diesem Fall anders: Die pathologisch lärmüberempfindliche und auf ein Hörgerät angewiesene Frau sei bei ihrer Arbeit einer ständigen Geräuschbelastung ausgesetzt gewesen. Ihre Konzentration habe darunter gelitten, sie habe sich aber für ihre Arbeitstätigkeit – dem Versand von Medikamenten – ständig konzentrieren müssen. Da auf dem Betriebsgelände kein geräuscharmer „Erholungsort“ existierte, sei der tägliche Mittagsspaziergang als arbeitskrafterhaltende „Geräuscherholung“ anzusehen, was der Arbeitgeber auch gewusst und gebilligt habe.
8. Fazit und Praxistipp
Diese exemplarisch dargestellten und viele weiteren Fälle zeigen: Ob ein versicherter Arbeitsunfall vorliegt oder nicht, ist oft schwer zu entscheiden und hängt nicht selten von scheinbaren „Details“ des jeweiligen Einzelfalls ab. Der Arbeitsunfall sollte vor Gericht von dem geschädigten Arbeitnehmer detailliert dargestellt werden. Lässt sich das Vorliegen eines Arbeitsunfalls, d.h. bei einer Tätigkeit mit Arbeitsbezug, nicht beweisen, geht dies „im Zweifel zu Lasten des Arbeitnehmers.“