Mit Urteil vom 14.11.2012 entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG), dass der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) schon ab dem ersten Tag der Krankheit verlangen kann, ohne dafür einen Grund zu haben.

In diesem Beitrag erläutern wir kurz den Fall, der zur Entscheidung des BAG geführt hat und nennen die wesentlichen Punkte des Urteils.

In dem zu entscheidenden Fall hatte eine WDR-Redakteurin für den 30. November 2010 eine Dienstreise beantragt, die allerdings vom WDR abgelehnt wurde. Daraufhin meldete sich die Redakteurin für den gewünschten Reisetag krank. Am Folgetag erschien sie wieder zur Arbeit.

Der WDR forderte die Redakteurin nunmehr auf, künftig schon am ersten Fehltag einen Arzt aufzusuchen und ein entsprechendes Attest vorzulegen. Die Redakteurin klagte auf Widerruf dieser Weisung. Sie begründete dies damit, dass für das Verlangen eines Attests bereits ab dem ersten Tag der Krankmeldung eine sachliche Rechtfertigung erforderlich sei (also die Angabe eines Grundes, aus dem der Verdacht hervorgeht, dass der Arbeitnehmer „blau gemacht“ hat).

Die Entscheidung des BAG

Bei der Entscheidung beruft sich das BAG auf eine Regelung des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG), in der es heißt:

Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen.

Hieraus geht die grundsätzliche Pflicht des Arbeitnehmers hervor, dem Arbeitgeber die Erkrankung so schnell wie möglich mitzuteilen.

Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen.

Der Arbeitnehmer muss dem Arbeitgeber also spätestens am 4. Krankheitstag ein ärztliches Attest vorlegen.

Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung früher zu verlangen.

Daraus folgert das Gericht, dass das ärztliche Attest bereits für den ersten Krankheitstag verlangt werden kann.

Umstritten war im Arbeitsrecht bisher, ob der Arbeitgeber das Attest ab dem ersten Tag mit oder ohne Begründung verlangen kann. Diese Frage hat das Bundesarbeitsgericht nun entschieden: Nach Ansicht des Gerichts liegt es ausschließlich im Ermessen des Arbeitgebers, von diesem Recht Gebrauch zu machen. Es kommt demnach nicht darauf an, ob der Arbeitgeber den begründeten Verdacht hegt, dass der Arbeitnehmer „blau macht“.

Das Gericht betonte zudem, dass dem Arbeitgeber dieses Recht nur dann nicht zusteht, wenn es durch Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung ausdrücklich ausgeschlossen ist.

Muss der Betriebsrat beteiligt werden?

Ob der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht geltend machen kann, wenn der Arbeitgeber ein Attest ab dem ersten Tag verlangt, hängt davon ab, ob es sich um eine Verhaltensanordnung für mehrere Arbeitnehmer oder um einen konkreten Einzelfall handelt.

Ordnet der Arbeitgeber die Vorlage des Attests für eine Gruppe von Arbeitnehmern an, muss der Betriebsrat nach § 87 I Nr.1 BetrVG beteiligt werden, weil es sich dann um eine Frage der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb handelt (3 TaBV 2149/11).

Solange das Verlangen des Arbeitnehmers dagegen nur einzelne Arbeitnehmer betrifft, hat die Anordnung keinen Kollektivbezug zum Unternehmen und betrifft nur das Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und dem jeweiligen Arbeitnehmer. In diesem Fall muss auch der Betriebsrat nicht beteiligt werden (LAG Nürnberg, 07.03.2012, 2 TaBV 60/10).

Fazit

Der Arbeitgeber kann die ärztliche AUB vom ersten Krankheitstag an verlangen, muss dies aber nicht tun. Wir empfehlen Arbeitgebern allerdings, von dieser Möglichkeit nur selektiv Gebrauch zu machen. Andernfalls muss berücksichtigt werden, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht. Oft gibt es bezüglich der Attestpflicht des Arbeitnehmers bereits eine Regelung im Arbeits- oder Tarifvertrag oder in der Betriebsvereinbarung.