In Auseinandersetzungen zum Sorge- oder Umgangsrecht wird oft ein psychologisches Familiengutachten eingeholt, um über das Sorgerecht zugunsten des Kindes zu entscheiden.

  1. Gutachten und Sorgerechtsentzug
  2. In welchen Fällen wird ein Gutachten eingeholt?
  3. Inhalte des Gutachtens
  4. Kosten für ein Gutachten
  5. Gutachten in der Kritik
  6. Gutachten anfechten
  7. Fazit
  8. Praxistipp

1. Familiengutachten und Sorgerechtsentzug

Nach der Trennung bzw. Scheidung kommt nicht selten Streit zwischen den Ex-Partnern auf, was das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder angeht. Wer erhält das Sorgerecht, bei wem werden die Kinder wohnen? Jedes Jahr kann sich diese Frage bei ca. 150.000 Scheidungen in Deutschland stellen, bei denen minderjährige Kinder zurückbleiben.

Wenn sich die Eltern über eine Regelung zum Sorgerecht bzw. Teilbereiche der elterlichen Sorge wie z.B. das Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht einigen können, kann das zuständige Familiengericht ein entsprechendes familienpsychologisches Gutachten in Auftrag geben. Auch bei der Regelung des Umgangsrechts wird oft ein Gutachter hinzugezogen.

2. In welchen Fällen wird ein Familiengutachten eingeholt?

Das Familiengericht holt ein Gutachten immer dann ein, wenn es eine Frage nicht selbst klären kann, weil ihm dazu die Expertise fehlt. Denn ein Familiengericht hat zwar Erfahrung in Kindschaftsfällen und ist juristisch geschult, oft ist aber eine psychologische Bewertung des persönlichen Verhältnisses zwischen Kind und Eltern sowie über die Erziehungsfähigkeit der Elternteile notwendig.

Beim Sorgerechtsentzug geht es immer um die Frage, ob eine drohende Gefährdung des Kindeswohls (vgl. § 1666 BGB) es erforderlich macht, einem oder beiden Elternteilen das Sorgerecht zu entziehen. Aber auch in „Pattfällen“, wenn also nicht klar ist, bei welchem Elternteil das Kind besser „aufgehoben“ ist und die Eltern nicht zu einer einvernehmlichen Lösung gebracht werden können, kommt die Einholung eines Gutachtens infrage.

Da in Kindschaftssachen der sog. Amtsermittlungsgrundsatz gilt, d.h. der zur Entscheidung maßgebliche Sachverhalt durch das Gericht von sich aus zu erforschen ist, setzt die Hinzuziehung eines Gutachters nicht voraus, dass das Gutachten durch einen Elternteil beantragt wird (auch wenn dies oft geschieht).

3. Inhalte des Gutachtens

Das Gericht möchte durch das Gutachten Aufschluss darüber erhalten, inwieweit die Eltern(teile) in ihrer konkreten Lebenssituation in der Lage sind, eine ordnungsgemäße und das Kind fördernde Erziehung durchzuführen, also das Kindeswohl zu fördern. Dabei spielen natürlich auch die Bedürfnisse und Interessen der Kinder eine Rolle.

Das Familiengutachten soll etwa regelmäßig zu folgenden Aspekten Stellung nehmen bzw. diese berücksichtigen:

  • Welche Bindungen des Kindes bestehen zu den beiden Elternteilen, zu Geschwistern und zu sonstigen Bezugspersonen?
  • Wille des Kindes: Je älter das Kind ist, desto mehr ist der Willes des Kindes zu berücksichtigen; der geäußerte Wille des Kindes entspricht aber häufig nicht dessen tatsächlichem Willen, z.B. weil das Kind durch ein Elternteil manipuliert wird
  • Erziehungsfähigkeit der Eltern: Sind diese in der Lage, die Erziehung im Sinne des Kindes durchzuführen?
  • Konfliktfähigkeit und Empathie der Eltern im Umgang mit dem Kind
  • Förderung des Kindes in seiner Entwicklung
  • Bindungsloyalität: Wie sehr kann ein Elternteil die Bindung des Kindes zu dem anderen Elternteil zulassen und diese Beziehung fördern?
  • Inwieweit würde durch eine Veränderung der herrschenden Bedingungen (z.B. Entzug des Sorgerechts, verändertes Umgangsrecht) das Kindeswohl negativ bzw. positiv beeinflusst?

Die genauen Inhalte des Gutachtens hängen natürlich von der konkreten Situation des Einzelfalls bzw. davon ab, welche Fragen mit der Erstellung des Gutachtens geklärt werden sollen.

4. Kosten für ein Familiengutachten

Ein familienpsychologisches Gutachten ist teuer, denn Gutachter rechnen oft hohe Summen für die deren Erstellung ab. Ein solches Gutachten kann mehrere tausend Euro und im Einzelfall sogar mehr als 10.000 Euro kosten. Eine Begutachtung treibt daher die Verfahrenskosten immens nach oben. Diese werden in Sorgerechtsstreitigkeiten nahezu immer hälftig zwischen den Parteien aufgeteilt.

Eine Rechtsschutzversicherung kommt in der Regel bei Sorgerechtsstreitigkeiten – wenn überhaupt – nur sehr eingeschränkt für entstehende Kosten auf. Auch deswegen sollte vor Einholung eines Gutachtens versucht werden, eine einvernehmliche Lösung der beiden Elternteile herbeizuführen.

5. Familiengutachten in der Kritik

In den letzten Jahren sind familienpsychologische Gutachten stark in die Kritik geraten. Immer wieder wurde etwa kritisiert, dass nicht ausreichend geregelt ist, wer überhaupt ein Gutachten erstellen darf, d.h. welche berufliche Qualifikation oder welcher Titel dafür erforderlich ist. Oft wurde auch die Anwendung wissenschaftlich überholter Methoden oder eine Voreingenommenheit gegen einen Elternteil und dessen Erziehungskompetenz (nicht selten des Vaters) moniert. Schließlich wird vielen Gerichten vorgeworfen, sich mangels eigener Expertise zu sehr auf das Ergebnis eines Gutachtens zu verlassen oder ein Gutachten dafür zu benutzen, eine bereits feststehende Meinung fachlich zu rechtfertigen.

Pauschale Aussagen lassen sich zu diesen Kritikpunkten nicht treffen. Fest steht: Auch aufgrund der vielfachen Kritik wird momentan (Stand: März 2016) an einer Gesetzgebungsreform gearbeitet, welche die „Qualifikationsanforderungen für Sachverständige“ neu regelt und auch einige Änderungen im Familienrecht vorsieht. Zur Zeit befindet sich der Gesetzgebungsentwurf im parlamentarischen Verfahren. Inwieweit sich dadurch die Gerichtspraxis ändern wird, bleibt abzuwarten.

6. Gutachten anfechten

Wird ein Gutachten für unstimmig gehalten, kann beim Gericht ein Zweitgutachten beantragt werden. Da die Einholung eines Zweitgutachtens im Ermessen des Familiengerichts liegt, ist ein solcher Antrag allerdings gut und fundiert zu begründen. So muss dezidiert dargestellt werden, warum und in welchen Punkten das Familiengutachten fehlerhaft ist. Wird daraufhin ein Zweitgutachten erstellt und weicht dieses erheblich von den Ergebnissen des ersten Gutachtens ab, wird üblicherweise auf ein sog. Obergutachten zurückgegriffen.

Hinweis: Nur weil ein Gutachten nicht das von einem Elternteil gewünschte Ergebnis unterstützt, ist dieses nicht schon fehlerhaft. Ähnliches gilt für die im Familiengututachten verwendeten Untersuchungsmethoden – dem Gutachter kommt ein gewisser Einschätzungsspielraum zu, wie er zu seinen Ergebnissen kommt.

Ein Elternteil kann übrigens gegen seinen Willen nicht dazu gezwungen werden, sich im Rahmen eines familienpsychologischen Gutachtens körperlich oder psychiatrisch/psychologisch untersuchen zu lassen und zu diesem Zweck bei einem Gutachter zu erscheinen, so die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH v. 17.10.2010 – Az. XII ZB 68/09). Auch das Vorliegen einer „drohenden Gefährdung des Kindeswohls“ nach § 1666 BGB  ändert daran nichts. Inwieweit eine solche Weigerung freilich die Position eines Elternteils in einem Sorgerechtsstreit unbedingt verbessert, steht auf einem anderen Blatt.

7. Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen:

  • Bei Sorgerechtsstreitigkeiten oder auch zur Regelung des Umgangsrechts wird oft ein familienpsychologisches Gutachten eingeholt, wenn das Gericht mit der eigenen Expertise nicht weiter kommt
  • Das Gutachten soll eine fachliche pädagogische bzw. psychologische Einschätzung darüber liefern, mit welcher Entscheidung dem Wohl des Kindes am meisten gedient ist
  • Eine Gutachtenerstellung ist kostspielig und schlägt sich in der Höhe der Verfahrenskosten nieder
  • Ein Familiengutachten kann angefochten bzw. ein Gegengutachten beantragt werden. Dies hängt aber vom Ermessen des Gerichts ab und muss fundiert begründet werden

8. Praxistipp

Spätestens nachdem ein Vater ghanaischer Nationalität gegen die Entziehung des Sorgerechts für seine Tochter klagte, weil ihm das hinzugezogene Gutachten unangemessene „afrikanische Erziehungsmethoden“ attestierte, sind die Gutachten in den Fokus der Kritik geraten. Der Mann zog bis vor das Bundesverfassungsgericht (Urt. v. 19.11.2014 – Az. 1 BvR 1178/14) und bekam Recht. Auch wenn dieses Urteil nicht den Regelfall abbildet, zeigt es: Unzureichende, weil von sachfremden Voraussetzungen ausgehende Familiengutachten können mit anwaltlichem Beistand erfolgreich angegangen werden. Denn auch den Eltern kommt ein gewisser Entscheidungsspielraum zu, wie genau sie ihr Kind erziehen möchten, solange dadurch das Kind keinen Schaden nimmt.