Die Deutschen melden sich immer häufiger krank. Nach Studien der Bundesagentur für Arbeit und der Krankenkassen fehlten im Jahr 2006 Arbeitnehmer nur durchschnittlich 10,5 Tage wegen Krankheit; 2010 waren es schon über 12 volle Tage – und eine aktuelle Studie geht für 2012 von einem Rekordstand von über 14 Arbeitstagen aus.
Der Krankenstand ist im Vergleich zu unseren Nachbarländern zwar nur Mittelfeld, viele Arbeitnehmer unterschätzen jedoch die wirtschaftlichen Auswirkungen, die Ausfallzeiten auf das Unternehmen haben können. Dabei erliegen sie oft dem weitverbreiteten Irrtum, dass man wegen Krankheit nicht gekündigt werden könne.
Seit Anstieg der Krankenzahlen greifen Arbeitgeber immer häufiger zur personenbedingten Kündigung, um sich häufig- oder dauerkranker Arbeitnehmer zu entledigen. Mittlerweile ist dies der häufigste Fall von personenbedingten Kündigungen und grundsätzlich vom Gesetzgeber erlaubt. Es gibt dennoch Grenzen: Soweit das Arbeitsverhältnis bereits sechs Monate bestand und regelmäßig mehr als 10 Vollzeitarbeitnehmer im Betrieb beschäftigt sind, greift der gesetzliche Kündigungsschutz ein.
Eine Kündigung ist dann nur möglich, wenn sie sozial gerechtfertigt werden kann.
1. Langzeiterkrankungen
Bei Langzeiterkrankungen wird zwischen der Kündigung wegen dauernder Arbeitsunfähigkeit und der Kündigung wegen langanhaltender Erkrankung unterschieden.
2. Kurzzeiterkrankungen
Kurzzeiterkrankungen hingegen können per se kein zulässiger Kündigungsgrund sein. Sofern man Attest und Krankmeldung rechtzeitig einreicht, verbieten die Arbeitnehmerschutzgesetze, für kurze und berechtigte Krankheitsfälle vor die Tür gesetzt zu werden. Wenn solche kurzzeitigen Erkrankungen jedoch immer wieder vorkommen (besonders, wenn es sich häufig um Brückentage oder den Wochenanfang handelt), hat der Arbeitgeber gute Chancen auf eine wirksame Entlassung.
Damit eine solche Kündigung wirksam ist, muss diese sich jedenfalls an vier Fragen orientieren, die im Falle einer Kündigungsschutzklage auch das Gericht prüfen würde:
1. Wird der Arbeitnehmer wieder gesund?
Dabei handelt es sich um die sogenannte Negativprognose. Die Rechtsprechung fordert, dass eine ernsthafte Besorgnis über den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers besteht und nicht absehbar ist, wann der Mitarbeiter wieder vollständig arbeitsfähig sein wird. Bei häufigen Kurzzeiterkrankungen muss sich die Prognose darauf beziehen, ob zu erwarten ist, dass es auch künftig zu stetigen Arbeitsausfällen kommen wird.
Der Arbeitgeber hat die Prognose jedoch zu begründen – eine bloße Vermutung reicht nicht aus. Vielmehr müssen handfeste Tatsachen dafür sprechen, dass der Arbeitnehmer auch künftig nicht in der Lage sein wird, seinen Arbeitsvertrag ordnungsgemäß zu erfüllen. Chronische Erkrankungen sind ein klassischer Fall für eine solche Begründung, darunter fallen auch Alkohol- und Drogensucht sowie Persönlichkeitsstörungen. Bei einmaligen Ereignissen – wie Unfällen – ist eine Negativprognose kaum zu treffen.
Wenn hingegen ersichtlich ist, dass die im Arbeitsvertrag festgelegte Leistung nie wieder erbracht werden kann, kann der Arbeitgeber ohne weitere soziale Rechtfertigung kündigen (Langzeit- oder Dauererkrankung). Zuvor muss der Arbeitgeber allerdings prüfen, ob nicht ein anderer, leidensgerechter Arbeitsplatz für den Arbeitnehmer zur Verfügung steht und für diesen gegebenenfalls ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchführen.
2. Inwiefern schadet der Ausfall dem Betrieb?
Die zweite Voraussetzung ist die erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen oder wirtschaftlichen Belange des Arbeitgebers durch den Ausfall des kranken Arbeitnehmers.
Das ist vor allem dann der Fall, wenn eine Krankheitsvertretung eingestellt und extra eingearbeitet werden muss. Ganz besonders, wenn es dabei zu Produktionsausfällen oder Produktivitätsverschlechterungen kommt. Wenn ohne den Mitarbeiter die Förderbänder stillstehen, weil im Betrieb kein geeigneter Ersatz für den ausgefallenen Mitarbeiter existiert, kann jedoch auch die schlechte Personalplanung des Arbeitgebers verantwortlich sein. Der ist grundsätzlich gehalten, auch auf kurzfristige Arbeitsausfälle reagieren zu können. Vielmehr muss er beweisen, dass ihn die Krankheit des Mitarbeiters unverhältnismäßig belastet. In kleineren Unternehmen ist das öfter der Fall.
Eine Belastung können grundsätzlich auch Entgeltfortzahlungskosten sein, soweit sie länger als sechs Wochen gezahlt werden müssen.
3. Kann eine erneute Erkrankung verhindert werden?
Dauerte die krankheitsbedingte Abwesenheit innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen, sieht § 84 Abs. 2 SGB IX ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) vor, das dem Arbeitnehmer die Rückkehr an seinen oder einen anderen leidensgerechten Arbeitsplatz erleichtern soll. Daran müssen die Arbeitnehmervertretungen – etwa der Betriebsrat oder die Jugend- und Auszubildendenvertretung – beteiligt sein.
Das Fehlen des betrieblichen Eingliederungsmanagements führt zwar nicht direkt zur Unwirksamkeit der Kündigung, den Arbeitgeber treffen in der Folge allerdings nicht unerhebliche Darlegungs- und Beweislasten im Rahmen der Interessenabwägung.
4. Gibt es nicht eine andere Möglichkeit?
Die Interessenabwägung ist – wie bei anderen Kündigungen auch – bei krankheitsbedingten Kündigungen zwingend vorgeschrieben. Sie soll verhindern, dass Arbeitgeber ihre Mitarbeiter vorschnell oder leichtfertig vor die Tür setzen.
Im Zuge der Abwägung hat der Arbeitgeber die persönlichen Umstände des Arbeitnehmers (z.B. Familienstand, Alter oder Unterhaltslasten) zu berücksichtigen. Bezugspunkt muss immer der Einzelfall sein. Außerdem hat er zu prüfen, inwieweit der Arbeitnehmer an anderer Stelle im Betrieb eingesetzt werden kann. Auch betriebsbezogene Faktoren, wie die Dauer der Betriebszugehörigkeit oder Häufigkeit und Dauer vorheriger Erkrankungen können verhindern, dass eine Kündigung sozial gerechtfertigt ist. Zu berücksichtigen ist auch, ob die Arbeitsunfähigkeit möglicherweise die Folge eines Arbeitsunfalls ist.
3. Fazit
Eine Vielzahl von Anhaltspunkten kann dafür sorgen, dass eine krankheitsbedingte Kündigung unwirksam ist. Zum Beispiel sind Arbeitnehmer meistens im Vorteil bei der Prognose über die künftige Arbeitsunfähigkeit. Ohne ihre Zustimmung kann kein Arbeitgeber Auskunft von den behandelnden Ärzten verlangen. Auch der Arbeitnehmer selbst muss dem Arbeitgeber keine Angaben über künftige Ausfälle machen.
Die einzige Möglichkeit des Arbeitgebers ist, nach § 275 SGB V ein Gutachten beim medizinischen Dienst der Krankenkasse des Mitarbeiters einzuholen. Dazu muss er die Arbeitsunfähigkeit bezweifeln und gelangt unter Umständen an Details zur Erkrankung, die auf eine künftige Prognose schließen lassen.
Seine Gründe muss der Arbeitgeber vor Gericht zunächst darlegen. Erst daraufhin ist der Arbeitnehmer verpflichtet, auf die vorgebrachten Tatsachen zu reagieren und gegebenenfalls eine Gegendarstellung einzureichen. Der Arbeitnehmer sollte auf jeden Fall nicht ohne Weiteres einen Aufhebungsvertrag unterzeichnen, weil das zu einer Sperrzeit beim Arbeitslosengeld oder der Anrechnung einer Abfindung führen kann.
Arbeitgeber sollten sich auf jeden Fall im Vorfeld einer krankheitsbedingten Kündigung durch einen Rechtsanwalt für Arbeitsrecht beraten lassen, um die Rechtssicherheit der Kündigung zu gewährleisten. Gleiches gilt für Arbeitnehmer, die von einer Kündigung wegen Krankheit betroffen sind.