Nach einer Erhebung des Instituts für Arbeitsmarkt – und Berufsforschung (IAB) wurden im Jahr 2010 in 52,4% der Betriebe mit mehr als 20 Mitarbeitern bezahlte Überstunden geleistet. In 21,1% der Unternehmen mit über 20 Beschäftigten wurden hingegen unbezahlte Überstunden verrichtet. Soweit in den Firmen unbezahlte Überstunden anfielen, betrug die durchschnittliche Anzahl pro Beschäftigtem 3,6 Stunden in der Woche.
Wie verbreitet Überstunden sind, ergibt sich ebenfalls aus einer Studie von Statistik Austria, der Bundesanstalt Statistik Österreich. Demnach müssen in unserem Nachbarland 1/5 der Arbeitnehmer regelmäßig Überstunden leisten.
Diese Studien zeigen also, dass viele Arbeitnehmer (unbezahlte) Überstunden leisten müssen. Doch ist das überhaupt erlaubt?
- Müssen überhaupt Überstunden geleistet werden?
- Abgeltung von Überstunden mit dem Gehalt
- Regelungen im Arbeitsvertrag oft unwirksam
- Wann bleiben Überstunden unbezahlt?
- Umgehung des Mindestlohns unzulässig
- Kann man eine Bezahlung von Überstunden einfordern?
- Fazit
1. Müssen überhaupt Überstunden geleistet werden?
Arbeitnehmer können vertraglich nach dem Arbeitsvertrag oder einem anzuwendenden Tarifvertrag zur Ableistung von Überstunden verpflichtet sein. Ist dies nicht der Fall, brauchen Arbeitnehmer grundsätzlich nicht über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus zu arbeiten.
Anders sieht es nur in Notfällen aus. Dann muss der Arbeitnehmer unter Umständen vorübergehend Überstunden leisten. Dann muss für den Betrieb eine Gefahr aufgrund von unvorhersehbaren äußeren Ereignissen bestehen. Eine solche Situation kommt etwa bei einer Naturkatastrophe in Betracht. Dabei muss grundsätzlich die in § 3 Satz 2 ArbZG festgelegte Grenze von maximal 10 Arbeitsstunden täglich beachtet werden.
2. Abgeltung von Überstunden mit dem Gehalt
Häufig wird für Überstunden vertraglich vereinbart, dass diese vom Arbeitgeber auszugleichen sind. In Betracht kommt die Vergütung von Überstunden oder ein Freizeitausgleich.
Im Falle einer vertraglichen Regelung muss dann auch geprüft werden, ob diese zulässig ist. Da es sich bei den meisten Arbeitsverträgen um sogenannte allgemeine Geschäftsbedingungen handelt, sind Klauseln bedenklich, nach denen der Arbeitgeber ohne zeitliche Begrenzung unbezahlte Überstunden anordnen darf. Eine solche Abgeltungsklausel lautet etwa: „Durch die zu zahlende Bruttovergütung ist etwaig notwendig werdende Über- und Mehrarbeit abgegolten“.
Laut einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts verstößt eine solche Bestimmung gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 3 S. 2 BGB (BAG Urteil vom 17.08.2011, Az. 5 AZR 406/10), denn der Arbeitnehmer weiß nicht, worauf er sich hier einlässt. Anders sieht die Situation dann aus, wenn der Arbeitgeber die Anzahl der unbezahlten Überstunden zeitlich begrenzt. Hierzu sollte ein bestimmter zeitlicher Anteil festgeschrieben werden, der nicht zu hoch angesetzt werden darf.
In der Praxis finden sich verschiedene Regelungen hierzu:
- ein Anteil von 10 % der Wochenarbeitszeit wird pauschal abgegolten
- für die Pauschalabgeltung wird eine bestimmte Überstundenanzahl je Monat (z.B. 10) vorgegeben.
Das BAG hat zum Beispiel bei einer Vollzeittätigkeit eine Klausel als wirksam erachtet, nach der mit dem Gehalt die ersten zwanzig Überstunden monatlich abgegolten sein sollten (BAG, Urt. v. 16. 5. 2012 − 5 AZR 331/11) .
Wo hier genau die Grenze des Zulässigen liegt, ergibt sich jedoch nicht eindeutig aus der aktuellen Rechtsprechung. Deshalb sollten Sie sich zur Frage, ob eine vereinbarte Pauschalabgeltung im Einzelfall rechtens ist, von einem Fachanwalt für Arbeitsrecht beraten lassen.
3. Regelungen im Arbeitsvertrag oft unwirksam
Will der Arbeitgeber mit dem Lohn oder Gehalt Überstunden bereits abgelten, so muss er im Arbeitsvertrag klar beschreiben, wann und in welchem Umfang der Arbeitnehmer Überstunden zu leisten hat. Ansonsten kann dieser verlangen, dass die Überstunden ausgeglichen werden.
Dies entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 22.12.2012, 5 AZR 765/10) im folgenden Fall:
Durch eine Klausel des Arbeitsvertrags verpflichtete der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer, „bei betrieblicher Erfordernis” Überstunden abzuleisten, ohne dafür ein „gesondertes Entgelt” zu erhalten. Der Arbeitnehmer häufte so innerhalb von zwei Jahren satte 968 Überstunden an, also durchschnittlich zwei pro Tag. Der Arbeitnehmer will nun für die zu viel geleistete Arbeitszeit eine Vergütung, der Arbeitgeber hingegen beruft sich auf die Klausel des Arbeitsvertrags, wonach in dem Festgehalt des Arbeitnehmers bereits eine Vergütung für alle Überstunden enthalten sei.
Nach Ansicht des Gerichts ist diese Klausel des Arbeitsvertrags unwirksam, weil daraus für den Arbeitnehmer weder hervorgeht, wann er Überstunden abzuleisten hat („betriebliches Erfordernis”) noch wie viele. Das Gericht fordert: Es muss für den Arbeitnehmer „bereits bei Vertragsschluss erkennbar sein, was gegebenenfalls auf ihn zukommt, welche Leistung er also maximal für die vereinbarte Vergütung zu erbringen hat”. Diese Konkretisierungs-Anforderungen wurden im vorliegenden Fall nicht erfüllt, die Klausel ist daher unwirksam.
Ob der Arbeitnehmer für die geleisteten Überstunden eine Vergütung verlangen kann, richtet sich danach, ob er eine solche erwarten durfte (sogenannte „Vergütungserwartung”). Diese Erwartung ist nach rein objektiven Kriterien festzustellen wie Art, Dauer und Umfang der Tätigkeit („objektive Vergütungserwartung”). Vor allem dann ist eine objektive Vergütungserwartung gegeben, wenn in der betreffenden Branche Tarifverträge gelten, die für vergleichbare Arbeiten eine Vergütung von Überstunden vorsehen.
Auf den oben dargestellten Fall angewendet, besteht aufgrund einer objektiven Verkehrserwartung ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Vergütung seiner Überstunden. In diesem Fall betrug die Summe ca. 9.500 Euro.
4. Wann bleiben Überstunden unbezahlt?
Nur in Ausnahmefällen können Überstunden pauschal mit dem Festgehalt abgegolten werden.
In der vorgenannten Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht erläutert, in welchen Fällen für geleistete Überstunden keine Vergütungspflicht besteht, mangels objektiver Vergütungserwartung:
„Dienste höherer Art” (z.B. Tätigkeit als Arzt)
Bei Diensten höherer Art wird ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen demjenigen begründet, der die Dienste beansprucht (Dienstberechtigter), und dem, der die Dienste anbietet (Dienstverpflichteter). Beispiele dafür sind Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater usw.
Bei Tätigkeiten dieser Art – insbesondere ab einer bestimmten Gehaltsklasse – ist die zusätzliche Vergütung von Mehrarbeit nach Auffassung des BAG unüblich. Das schließt allerdings nicht aus, dass in diesen Fällen nicht etwas anderes vereinbart werden kann oder sich etwas anderes aus geltenden Tarifverträgen ergibt.
Insgesamt muss nach Auffassung des BAG anhand der Umstände des Einzelfalles beurteilt werden, ob der Arbeitnehmer eine gesonderte Bezahlung seiner Mehrarbeit erwarten konnte. Maßgebliche Kriterien hierfür sind vor allem die Höhe des Verdienstes, die in diesem Bereich geltende Verkehrssitte sowie die Art und der Umfang der Tätigkeit.
„Deutlich herausgehobene Vergütung”
Nach Ansicht des BAG fehlt die objektive Vergütungserwartung außerdem bei denjenigen, die deutlich mehr verdienen als der Durchschnitt. Dies ist der Fall, wenn die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung überschritten wird. Im Jahr 2019 lag sie bei einem Jahresbruttoeinkommen von 80.400 Euro (West) bzw. 73.800 Euro (Ost).
5. Umgehung des Mindestlohns unzulässig
Mancher Arbeitgeber könnte versucht sein, die Personalkosten durch die Anordnung unbezahlter Überstunden zu drosseln. So könnte der formal zu zahlende Stundenlohn von 9,19 € (Stand 2019) durch die teilweise unbezahlte Verlängerung der Arbeitszeiten des Arbeitnehmers letztendlich doch unterschritten werden.
Auch hier gilt: Der Mindestlohn darf vom Arbeitgeber nicht unterschritten werden. Dieser muss auch für Überstunden immer den Mindestlohn zahlen.
6. Kann man eine Bezahlung von Überstunden einfordern?
Arbeitnehmer können nicht automatisch eine Vergütung für die geleisteten Überstunden fordern. Dies setzt vielmehr nach § 612 BGB voraus, dass üblicherweise eine Vergütungserwartung besteht. Nach dem zuvor vorgestellten Beispielfall geht das Bundesarbeitsgericht allerdings von einer solchen Vergütungserwartung aus, wenn der Mitarbeiter kein herausgehobenes Entgelt bezieht.
In dem zu entscheidenden Fall war der Kläger als Lagerist tätig und bezog für eine reguläre Wochenarbeitszeit von 42 Stunden ein Bruttoeinkommen in Höhe von 1.800 €. Die Richter nahmen daher eine objektive Vergütungserwartung an.
Ebenso entschied das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 23.12.2011 (Az. 6 Sa 1941/11) für eine Arbeitnehmerin, die für „schlichte Büroarbeit“ ein Gehalt von monatlich 2.200 Euro brutto erhielt.
Anders ist es jedoch bei den schon erwähnten „Diensten höherer Art“, wie etwa bei angestellten Rechtsanwälten oder leitenden Angestellten. Von einzelnen Ausnahmen abgesehen besteht hier keine Vergütungserwartung in Bezug auf anfallende Überstunden, wenn eine Überstundenvergütung nicht ausdrücklich vertraglich vereinbart ist.
7. Fazit
- geleistete Überstunden sind im Normalfall durch Vergütung oder- falls vereinbart – in Freizeit auszugleichen
- die Anordnung unbezahlter Überstunden erfordert eine vertragliche Regelung
- eine pauschale Abgeltung unbegrenzter Überstunden mit dem Gehalt ist im Regelfall unzulässig
- Ausnahmen gelten bei Diensten höherer Art oder bei einer herausgehobenen Vergütung