Grundsätzliches zum gemeinsamen Sorgerecht

Nach § 1627 BGB haben Eltern das Sorgerecht in eigener Verantwortung und in gegenseitigem Einvernehmen zum Wohl des Kindes auszuüben. Bei Meinungsverschiedenheiten müssen sie versuchen, sich zu einigen.

Sind zwei Menschen verheiratet, so steht ihnen dadurch die elterliche Sorge für die in der Ehe geborenen Kinder gemeinsam zu. Wenn ein Kind außerhalb einer ehelichen Beziehung geboren wird, übt die Mutter das alleinige Sorgerecht aus. Trennen sich verheiratete Eltern und sind sich diese hinsichtlich bestimmter Sorgerechtsangelegenheiten nicht einig, stellt sich die Frage, was mit dem gemeinsamen Sorgerecht geschieht. Die Mutter oder der Vater können insofern unter Umständen das alleinige Sorgerecht gerichtlich beantragen.

Denn: Wenn zwei Elternteile widerstreitende Interessen bezüglich Wohl und Wehe des Kindes haben, sind Konflikte regelmäßig vorprogrammiert. Weil das Sorgerecht die komplette Lebensführung und Zukunftsgestaltung des Kindes umfasst, kann man ohne die Zustimmung beider Erziehungsberechtigter noch nicht einmal ein Sparbuch für das Kind eröffnen. Bei ständigen widerstreitenden Interessen ist es deshalb sinnvoll, dass nur ein Elternteil das alleinige Sorgerecht ausübt, da sonst das Beibehalten des gemeinsamen Sorgerechts nicht dem Kindeswohl entsprechen würde.

Obwohl beim gemeinsamen Sorgerecht beide Elternteile selbst für ihre Erziehungsentscheidungen verantwortlich sind, hat der jeweils andere Sorgeberechtigte bei Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung ein Widerspruchs- oder Veto-Recht. Das gilt sowohl für leibliche Eltern wie auch für Adoptiveltern. Entsprechend häufig müssen sich Richter mit den Fragen des Sorgerechts auseinandersetzen.

Für Sie haben wir die häufigsten Streitpunkte zusammengestellt und geben Ihnen eine Übersicht über Gesetz und Rechtsprechung zu den verschiedenen Themen.

  1. Wie erhält man das gemeinsame Sorgerecht?
  2. A wie Aufenthaltsbestimmungsrecht
  3. (Gemeinsame) Urlaube
  4. B wie Besuchs- und Umgangsrecht
  5. C – Cornflakes oder Nutella-Brot: Essen und Lebensführung
  6. Unterhalt, Taschengeld und Geschenke
  7. Das Familiengericht
  8. Fazit
  9. Video

1. Wie erhält man das gemeinsame Sorgerecht?

Dazu muss zunächst jedoch geklärt werden, wie man das gemeinsame Sorgerecht erhält. Nach deutschem Recht haben verheiratete Eltern eines Kindes das gemeinsame Sorgerecht. Während das Sorgerecht des Vaters von Rechts wegen zugeordnet wird (z. B. aufgrund der Eheschließung mit der Mutter), hat es die leibliche Mutter immer seit der Geburt. Sind die Eltern nicht miteinander verheiratet, hat die Mutter das alleinige Sorgerecht. Der Vater ist insofern nicht sorgeberechtigt.

Weil in Deutschland mittlerweile fast jedes dritte Kind nichtehelich geboren wird, müssen Väter immer häufiger um das Sorgerecht kämpfen. Der nicht mit der Mutter verheiratete Vater kann gemeinsam mit der Mutter vor dem zuständigen Jugendamt die Vaterschaft anerkennen und eine sogenannte Sorgerechtserklärung abgeben. Nach Abgabe dieser Erklärung steht den Eltern das Sorgerecht gemeinsam zu. Ist die Mutter mit der Abgabe dieser Erklärung nicht einverstanden, kann der Vater seit einem wegweisenden Verfassungsgerichtsbeschluss von Juli 2010 das Sorgerecht „einklagen“. Nach dem Gesetz zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern vom 19. Mai 2013 genügt eine tragfähige soziale Beziehung zur Mutter, um dem Vater das Sorgerecht zu ermöglichen – selbst, wenn die Mutter nicht zustimmt. Es wird lediglich geprüft, dass die Zuteilung des gemeinsamen Sorgerechts nicht dem Kindeswohl widerspricht.


2. A wie Aufenthaltsbestimmungsrecht

Das Aufenthaltsbestimmungsrecht ist als Teil des Sorgerechts (§ 1631 Abs. 1 BGB) eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung. Das bedeutet, dass beide Elternteile nur gemeinsam darüber entscheiden können, wo sich das (minderjährige) Kind wie lange aufhalten und wo es wohnen darf. Die gemeinsame Entscheidung bedeutet jedoch nicht, dass vor jedem Ortswechsel des Kindes eine Genehmigung des anderen Sorgeberechtigten eingeholt werden muss. Vielmehr muss eine grundlegende Übereinstimmung gegeben sein, die bereits dann vorliegt, wenn nicht zu erwarten ist, dass der andere Teil erhebliche Bedenken gegen die Ortswahl hat. Erhebliche Bedenken sind ganz besonders dann anzunehmen, wenn der fragliche Ort mit dem Kindeswohl nicht vereinbar scheint.

Zu unterscheiden ist zwischen einem kurz- und einem langfristigen Wechsel des Aufenthaltsortes. Bei kurzfristigem Aufenthalt besteht regelmäßig kein Problem, während für langfristige Aufenthalte beide Berechtigten von vornherein zustimmen müssen, weil sie nur schwer abänderbare Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben können.

Insbesondere relevant ist diese Regel, wenn das Kind den Wohnort von einem zum anderen Sorgeberechtigten wechseln möchte. Ohne Zustimmung des Vaters kann sich das Kind beispielsweise nicht eigenständig entscheiden, dauerhaft zur Mutter zu ziehen. Hierbei müssen sich beide Sorgeberechtigten abstimmen und dabei nach dem Kindeswohl entscheiden. Im Zweifelsfalle ist über diese Frage eine gerichtliche Entscheidung notwendig.

Das Recht am Wochenende oder abends eine „Sperrstunde“ zu verhängen, zu der ein Minderjähriger zu Hause sein muss, bedarf demnach auch einer vorherigen Absprache, soweit unsicher ist, ob der andere Teil zustimmt. Das gilt vor allem, wenn die Regelung generell gelten soll. Die Teilnahme an Sportveranstaltungen oder Konzerten hingegen ist – soweit es dem Kindeswohl entspricht – eine einseitige Entscheidung.


3. (Gemeinsame) Urlaube

Häufiger Streitpunkt zwischen Eltern: Urlaube und Ausflüge. Hierzu gibt es gleich eine ganze Reihe von Gerichtsentscheidungen, die unterschiedlichste Konstellationen betreffen.

Grundsätzlich kann gesagt werden, dass Ferien im Ausland und wochenlange Abwesenheit von beiden sorgeberechtigten Eltern gemeinsam entschieden werden müssen. Das gilt auch für wochen- oder monatelange Schüleraustausche. Nicht dazu gehört die Teilnahme an Klassenfahrten und Tagesausflügen. Letztere können jeweils einseitig entschieden werden.

Ist einer der gemeinsam Sorgeberechtigten seinerseits im Urlaub (vor allem im Ausland), gilt er dem Gesetz nach als tatsächlich verhindert, die elterliche Sorge auszuüben. In diesem Falle übt der andere Teil das Sorgerecht allein aus (so § 1678 Abs. 1 BGB).


4. B wie Besuchs- und Umgangsrecht

Neben der Frage, wo sich das Kind aufhält, ist meistens wichtig, mit wem es dort ist. Um das Kind von falschem Einfluss fernzuhalten, müssen auch in diesem Punkt beide Elternteile zustimmen. Was allerdings alltägliche Umstände, etwa der gemeinsame Schulweg mit Klassenkameraden oder die Wahl der Freunde angeht, genügt die Zustimmung von nur einem Elternteil – soweit nicht offensichtlich und zu erwarten ist, dass der andere Sorgeberechtigte seine Zustimmung verweigern würde.

Die Elternteile haben grundsätzlich ein Recht auf Umgang mit dem Kind, um durch den Kontakt in regelmäßigen Abständen einer Entfremdung mit einem der Elternteile vorzubeugen. Das gilt insbesondere, wenn das Kind nur bei einem Elternteil lebt. Dafür muss der Elternteil, bei dem das Kind lebt, Raum und Zeit schaffen. Eine böswillige Verhinderung des Umgangsrechts kann ein gerichtliches Umgangsverfahren nach sich ziehen. Ist der Umgang gerichtlich beschlossen worden und lässt der betreuende Elternteil den Umgang trotz des Beschlusses nicht zu, kann dies empfindliche Ordnungsstrafen (bis zu 25.000 Euro oder Ordnungshaft) mit sich bringen.

Damit soll für das Kind gewährleistet werden, den Kontakt zu Bezugspersonen zu pflegen, die für seine Entwicklung wichtig und förderlich sind. Deswegen können auch Großeltern und angeheiratete Verwandtschaft ein Umgangsrecht haben. Die Ausgestaltung des Umgangsrechts ist abhängig von Alter und Bedürfnissen des Kindes. Ein Wochenende bei den Großeltern ist für eine 15-jährige sicher angemessen, während bei einem Kleinkind einige Stunden ausreichen dürften.

Auch bezüglich Familienfeiern sollte rechtzeitig eine Umgangsregelung getroffen werden. Grundsätzlich hat ein Elternteil nur das Recht, das Kind zu Gelegenheiten zu sich zu nehmen, die innerhalb der zugestandenen Umgangszeiten liegen. Grade bei kleinen Kindern, welche die Tragweite solcher Ereignisse nicht begreifen, ist an der Umgangsregelung meist nicht zu rütteln. Bei Älteren kann ein Teilnahmeverbot jedoch dem Kindeswohl widersprechen. Die Teilnahme könnte gegebenenfalls gerichtlich durchgesetzt werden.


5. C – Cornflakes oder Nutella-Brot: Essen und Lebensführung

Zum Sorgerecht gehört vor allem, die Gesundheit des Kindes zu schützen. Neben Impfungen und Arztbesuchen umfasst das auch Fragen der Ernährung und körperlicher Ertüchtigung. Hiermit haben sich die Familiengerichte ebenfalls schon eingehend beschäftigt. Die Entscheidungen fallen immer wieder zu Gunsten des Elternteils aus, in dessen Obhut sich das Kind grade befindet. Nach der Maxime „mein Tisch, meine Regeln“ darf der betreuende Elternteil einseitig entscheiden, welche Ernährung er für das Kind für richtig hält. Solange das Kindeswohl nicht nachhaltig gefährdet wird, können dazu auch Junkfood oder Süßigkeiten zählen.

Das sind die sogenannten Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung, die auch die konkrete Schlafenszeit oder Fragen des Medienkonsums (Soziale Netzwerke, Fernsehen) betreffen. Ebenso kann der betreuende Elternteil eigenständig Entscheidungen über die sportliche Betätigung treffen.

Medizinische Eingriffe, die weder Routine (z.B. Zahnarzt), noch sofortiges Handeln (z.B. akute Behandlung nach Unfall) betreffen, müssen jedoch mit dem anderen sorgeberechtigten Elternteil abgesprochen werden. Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass bei Streit über die Impfungen des Kindes derjenige Elternteil entscheiden kann, der sich an den Empfehlungen der STIKO (Ständige Impfkommission) orientiert.

Dieser Grundsatz gilt auch bei einem Streit über die Corona-Schutzimpfung für Kinder: So hat das Amtsgericht Bad Iburg die Entscheidungsbefugnis auf denjenigen Elternteil übertragen, der bei Vorliegen einer Empfehlung der STIKO die Impfung mit einem mRNA-Impfstoff gegen Corona befürwortet.
 
Grundsätzlich muss zwar immer auch der Wille des Kindes beachtet werden, sofern Alter und Entwicklungsstand eine eigenständige Meinung zum Thema ermöglichen. Legt ein Elternteil jedoch ein auf Angst und Einschüchterung abzielendes Verhalten an den Tag, kann sich das Kind keine eigene Meinung zu Nutzen und Risiko der Impfung bilden.

6. Unterhalt, Taschengeld und Geschenke

Die Annahme oder Ablehnung kleinerer Geldgeschenke darf ein Sorgeberechtigter allein entscheiden. Ob Sachgeschenke angenommen werden dürfen, die potentiell nachteilig für ein Kind sein können, obliegt allerdings beiden gemeinsam. Solche potentiell nachteiligen Geschenke können beispielsweise Motorroller oder Haustiere sein. Auch die Annahme von Erbschaften bedarf der Zustimmung beider Sorgeberechtigter.

Über die Höhe des Taschengeldes entscheiden ebenfalls beide Eltern gemeinsam. Zu beachten ist allerdings, dass es sich beim Taschengeld zwar um eine einkalkulierte Unterhaltsposition handeln kann, das Kind aber keinen Anspruch, beispielsweise im Rahmen des Kindesunterhaltes darauf hat.

Sonstiges: Ausbildung und Religion

Wie erwähnt, können die Sorgeberechtigten richtungsweisende Entscheidungen nur gemeinsam fällen. Dazu gehört nicht zuletzt, welche Schule das Kind besuchen soll. Das beinhaltet nicht nur die Schulform, sondern auch die Schule selbst sowie die Fächerwahl. Bei minderjährigen Kindern haben die Eltern außerdem ein gemeinsames Mitspracherecht bei der Wahl des Ausbildungsplatzes. Durch die G8-Reformen in einigen Bundesländern umfasst das mittlerweile auch die Wahl von Studienfach und Studienort.

Darüber hinaus kann auch das Thema Religion nur gemeinsam entschieden werden. Welcher Konfession ein Kind angehören soll, in welchem Glauben es erzogen und ob und wann es getauft wird, dürfen beide Sorgeberechtigten nur gemeinsam entscheiden. Kann es nicht zu einer Einigung kommen, bleibt auch hier nur der Gang zum Familiengericht.

Sobald ein Kind jedoch das 14. Lebensjahr vollendet hat, ist es religionsmündig und kann selbst über jegliche religiöse Betätigung – und sein Bekenntnis an sich – frei entscheiden. Ab dem 10. Lebensjahr ist das Kind zumindest anzuhören, wenn ein Wechsel des Bekenntnisses stattfinden soll, ab dem 12. Lebensjahr darf dieser Wechsel nicht mehr gegen seinen Willen erfolgen.


7. Das Familiengericht

In allen Fragen, in denen die Erziehungsberechtigten gemeinsam entscheiden müssen, sich aber nicht einigen können, kann das Familiengericht die Entscheidung ersetzen. Es entscheidet neben Einzelfragen auch darüber, ob die Ausübung des gemeinsamen Sorgerechts noch dem Kindeswohl entspricht. Ist das nicht der Fall, gibt es die Möglichkeit einem Elternteil das Sorgerecht zu entziehen. Besonders, wenn zwischen den beiden Sorgeberechtigten unüberbrückbare Differenzen liegen, die auf Kosten des Kindeswohls gehen, besteht die Chance das alleinige Sorgerecht zu erhalten.

8. Fazit

  • Verheiratete Eltern eines Kindes haben automatisch das gemeinsame Sorgerecht.
  • Sind die Eltern bei der Geburt nicht verheiratet, hat die Mutter das alleinige Sorgerecht. Der Vater kann gemeinsam mit der Mutter eine Sorgerechtserklärung abgeben oder das gemeinsame Sorgerecht “einklagen”.
  • Über alltägliche Dinge wie Essgewohnheiten, Sport, die Schlafenszeit und den Medienkonsum des Kindes kann der betreuende Elternteil in der Regel eigenständig bestimmen.
  • Bei Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung entscheiden die Sorgeberechtigten gemeinsam. Das betrifft unter anderem medizinische Eingriffe, Impfungen, die Annahme von Erbschaften, die Höhe des Taschengeldes, die Schulausbildung und die Religion.
  • Das Aufenthaltsbestimmungsrecht ist ein Teil des Sorgerechts. Die Entscheidung für einen Wohnort, längere Aufenthalte oder Urlaub im Ausland muss im gegenseitigen Einverständnis getroffen werden.
  • Können sich die Eltern nicht einigen, kann das Familiengericht bestimmen, was das Beste für das Kindeswohl ist. Das betrifft Einzelfragen ebenso wie die Entziehung des gemeinsamen Sorgerechts.

9. Video