1. Elternunterhalt – Unterhaltspflicht unter Verwandten
  2. Wann kann die Unterhaltspflicht ausgeschlossen sein?
  3. Ausschluss der Unterhaltspflicht nur bei grober Unbilligkeit
  4. Regressforderungen der Sozialleistungsträger wegen Sozialleistungen
  5. Fazit und Praxistipp

1. Elternunterhalt – Unterhaltspflicht unter Verwandten

Eltern und Kinder sind als Verwandte gerader Linie zum gegenseitigen Unterhalt verpflichtet (§ 1601 BGB). Immer häufiger tritt der Fall ein, dass sich bedürftige Eltern im Alter an ihre Kinder wenden und Unterhalt von diesen verlangen (sog. Elternunterhalt). Wie von uns bereits beleuchtet, wird dem Unterhaltspflichtigen dabei ein Schonvermögen zugebilligt, das von der Unterhaltspflicht ausgenommen wird. Wer diese Freigrenze aber überschreitet, der wird häufig zur Kasse gebeten und soll die Pflegekosten bezahlen.

Dieses Ergebnis erscheint mitunter nicht gerecht, etwa wenn der Kontakt mit den Eltern schon lange abgebrochen wurde oder das Verhältnis seit längerer Zeit gestört ist. Daher stellt sich die Frage: In welchen Fällen können Unterhaltsansprüche der Eltern vollständig und unabhängig vom eigenen Einkommen abgelehnt werden, weil der Unterhaltsanspruch wegen unbilliger Härte verwirkt ist? Diese Frage kann insbesondere dann relevant werden, wenn ein Sozialleistungsträger (Sozialamt) für die Kosten eines Pflegeheims für die pflegebedürftigen Eltern aufkommt und nun Regress für die oft immensen Pflegekosten von den Kindern einfordert. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick.

2. Wann kann die Unterhaltspflicht ausgeschlossen sein?

Nach der Vorschrift des § 1611 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) kann der Unterhaltspflichtige die Unterhaltszahlung teilweise verweigern, wenn eine Zahlung als „unbillig“, d.h. unangemessen und ungerecht erscheint. Auch ein vollständiger Ausschluss der Unterhaltspflicht ist möglich (sog. „grobe Unbilligkeit“). § 1611 BGB nennt drei Fallgruppen, wann ein solcher Härtefall vorliegen kann.

1. Fallgruppe: Eine Unbilligkeit wegen „sittlichem Verschulden“ liegt etwa dann vor, wenn der Elternteil, der nun Unterhalt verlangt, seine Bedürftigkeit durch Spiel-, Trunk- oder Drogensucht selbst verursacht hat. Allerdings gilt dies nur dann, wenn die Sucht auch eigenverantwortlich verschuldet war und eine Suchtbehandlung abgelehnt wurde, da die Sucht sonst als unverschuldete Krankheit anzusehen ist (OLG Celle v. 13.03.1990 – Az. 17 UF 107/88).

2. Fallgruppe: Auch eine Vernachlässigung der eigenen Unterhaltspflicht  als Elternteil kann später dazu führen, dass man später keinen Elternunterhalt von seinem Kind verlangen kann. Wer sich also etwa jahrelang nicht um seine Kinder kümmert und diese  geradezu „verwahrlosen“ lässt, dem kann später ein Ausschluss der eigenen Unterhaltsansprüche gegen die früher vernachlässigten Kinder drohen (AG Leipzig v. 18.09.1996 – Az. 23 C 280/95).

3. Fallgruppe: Eine schwere Verfehlung gegen Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen  kann den Anspruch auf Elternunterhalt schließlich ebenfalls verwirken. Diese Fallgruppe umfasst etwa Fälle von Bedrohungen, körperlicher Gewalt oder gar sexueller Misshandlung. Auch wer sein Kind bei den Großeltern zurücklässt und in ein anderes Land auswandert (BGH v. 19.05.2004 – Az. XII ZR 304/02) kann später keinen Unterhalt von seinem Kind verlangen. Ähnliches kann gelten, wenn jeder Kontakt zum eigenen Kind jahrzehntelang und einseitig verweigert wurde (BGH v. 12.02.2014 – Az. XII ZB 607/12).

Die schwere Verfehlung muss vorsätzlich begangen worden sein, d.h. dem Elternteil muss die Tragweite seines Verhaltens in Bezug auf sein Kind bewusst gewesen sein.

3. Ausschluss der Unterhaltspflicht nur bei grober Unbilligkeit

Nur schwere Verfehlungen führen zu einem Ausschluss der Unterhaltspflicht, nicht aber jede Störung der Eltern-Kinder-Beziehung. Bloße Taktlosigkeiten im Umgang miteinander, aber auch ein Kontaktabbruch der Eltern reichen nicht in jedem Fall aus, um einen Unterhaltsausschluss zu rechtfertigen. Wer den Eltern eine Verfehlung verziehen hat, der muss später auch damit rechnen, dass er sich nicht (mehr) auf diese berufen kann, um seiner Unterhaltspflicht zu entgehen. Auch eine Enterbung des Kindes kann einen Ausschluss der Unterhaltspflicht noch nicht rechtfertigen – wer enterbt, vollzieht damit nur seine legitime Testierfreiheit.

4. Regressforderungen der Sozialleistungsträger wegen Sozialleistungen

Oft werden (grundsätzlich) unterhaltspflichtige Kinder mit dem Elternunterhalt gar nicht direkt, sondern über die Sozialämter konfrontiert. Wer nämlich Sozialleistungen erhält, obwohl ihm Unterhaltsansprüche zustehen, bei dem gehen diese Unterhaltsansprüche nach der Vorschrift des § 94 Abs. 1 SGB XII auf den Sozialleistungsträger über, der dann wiederum von dem Unterhaltspflichtigen Regress fordert. Diese Rückforderungen können viele Tausend Euro betragen, etwa wenn die Kosten für ein Pflegeheim erstattet werden sollen. Die behördliche Rückforderung kann auch erst gestellt werden, wenn der Elternteil bereits gestorben ist. Nicht selten erfahren unterhaltspflichtige Kinder, die keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern haben, erst durch die Regressforderung des Sozialamts vom Tod ihres Elternteils.

Wer mit einem Rückzahlungsbegehren des Sozialamts konfrontiert wird und wegen des schlechten Verhältnis zu seinem Elternteil nicht zahlen will, der kann gegenüber dem Sozialamt geltend machen, dass der Übergang von Unterhaltszahlungen eine „unbillige Härte“ (§ 94 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII) bedeuten würden.

5. Fazit und Praxistipp

Die Gerichte sind inzwischen sehr zurückhaltend mit der Annahme eines Härtefalls geworden und schließen Unterhaltsansprüche nur noch in extremen Fällen aus. Im oben genannten Urteil vom 12.02.2014 hatte der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass bei der Frage nach einer „schweren Verfehlung“ insbesondere darauf abzustellen ist, ob die in Rede stehende schwere Verfehlung des Elternteils in einer Zeit begangen wurde, als das Kind noch minderjährig war.Wer sich gegen Regressforderungen des Sozialamts wehren möchte, der sollte seine Gründe lückenlos vortragen und diese wenn möglich mit schriftlichen Nachweisen, etwa Zeugenaussagen von Beteiligten, belegen können. Denn nach der wichtigen Vorschrift des § 94 Abs. 3 S. 2 SGB XII muss das Sozialamt bei der Beurteilung des Sachverhalts nur solche Umstände berücksichtigen, von denen Kenntnis erlangt wurde – der Grundsatz, dass das Sozialamt alle Umstände des Einzelfalls umfassend selbst ermitteln muss (Amtsermittlungsgrundsatz) gilt hier gerade nicht bzw. nur eingeschränkt.

Nicht zuletzt diese hohen Hürden der Nachweispflicht führen dazu, dass viele (aber nicht alle) Begehren auf Ausschluss der Unterhaltspflicht vor Gericht scheitern. Der Nachweis fällt oft deshalb schwer,  weil die Vorkommnisse schon viele Jahre zurück liegen und sich keine tauglichen und „handfesten“ Beweise (z.B. Schriftverkehr, aus dem der Kontaktabbruch hervorgeht) mehr auffinden lassen. Eine empfundene Ungerechtigkeit der jetzt erwachsenen Kinder gegen ihre Eltern allein reicht aber nicht – es müssen objektive Umstände vorliegen, auf die der Unterhaltsausschluss gestützt werden kann.