Alle folgenden Beispiele können auch andersherum stattfinden! Die Bezeichnungen als Vater oder Mutter dienen nur der besseren Verständlichkeit. Korrekter wäre es, z.B. vom „Umgangsberechtigten“ zu sprechen, was aber die Lesbarkeit sehr erschwert.
  1. Darf Umgang trotz Ausgangsbeschränkung bzw. Kontaktsperre stattfinden?
  2. Kann der Umgang von einem negativen Corona-Test oder einer Impfung abhängig gemacht werden?
  3. Was tun bei einer möglichen Infektion des Vaters?
  4. Drohen Zwangsmaßnahmen bei einer Verweigerung des Umgangsrechts?
  5. Muss das Kind mit Zug oder Flugzeug zur Mutter reisen?
  6. Wohin mit dem Kind, wenn Schule oder Kita geschlossen sind?
  7. Wer übernimmt die Kinderbetreuung, wenn die Umgangsregelung aus Angst vor dem Virus nicht beachtet wird?
  8. Wie gehe ich damit um, wenn der Vater sich nicht an die Verhaltensregeln der Behörden hält?
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1. Darf Umgang trotz Ausgangsbeschränkung bzw. Kontaktsperre stattfinden?

Ja, auch im Rahmen der Ausgangsbeschränkungen dürfen Umgangskontakte stattfinden, denn diese sind ausdrücklich von den Beschränkungen ausgenommen. Verwandte in gerader Linie dürfen sich weiterhin gemeinsam in der Öffentlichkeit aufhalten – und zu Hause sowieso.

Ob ein Umgang im konkreten Fall auch sinnvoll ist, sollte vernünftig bedacht werden. Dem verständlichen Wunsch nach Umgang auf beiden Seiten (Kind und Elternteil) steht nämlich die Möglichkeit einer Gefährdung von anderen Personen entgegen.

Allerdings ist eine hypothetische Infektionsgefahr kein Grund, um gerichtlich festgeschriebene Umgangsregelungen außer Kraft zu setzen. So entschied erst kürzlich das OLG Frankfurt am Main (Az. 1 WF 102/20): Sofern keine konkreten Anhaltspunkte für eine tatsächliche Corona-Infektion vorliegen, haben die gerichtlichen Vorgaben weiterhin Bestand. Auch Angehörige der Corona-Risikogruppe (z.B. Großeltern) im Haushalt oder nahen häuslichen Umfeld des Kindes ändern hieran nichts. Das Gericht begründete den Beschluss vor allem damit, dass die Eltern in jedem Fall zur Kernfamilie und der Umgang zwischen Vater und Kind zum unerlässlichen Minimum sozialer Kontakte zählen.

Insbesondere ist eine einseitige Änderung der Kontaktbestimmungen unzulässig. Lediglich durch ein Zusammenwirken beider Elternteile können die Regelungen für das Umgangsrecht wegen der besonderen Corona-Situation angepasst werden.


2. Kann der Umgang von einem negativen Corona-Test oder einer Impfung abhängig gemacht werden?

Der Umgang kann in der Regel auch stattfinden, wenn vorher kein negativer Corona-Test vorgelegt wird. Ebenso wenig kann verlangt werden, dass der umgangsberechtigte Elternteil gegen das Sars-CoV-2-Virus geimpft ist.

Das OLG Nürnberg (Beschluss vom 12.04.2021, Az. 10 UF 72/21) entschied in einem Fall, dass ein sorgeberechtigter Vater von der umgangsberechtigten Mutter nicht verlangen könne, dass diese sich vor jedem Umgang mit ihren Kindern auf das Corona-Virus testen lasse. In seinem Beschluss erinnerte das Gericht daran, dass eine Einschränkung oder ein Ausschluss des Umgangs für längere Zeit nur dann erfolgen dürfe, wenn andernfalls das Wohl der Kinder gefährdet sei. Eine Beschränkung des Umgangsrechts dürfte nicht bereits aufgrund einer “abstrakten Gefahreneinschätzung” erfolgen. Allein das Bestehen der Corona-Pandemie rechtfertigt es nicht, den Umgang auszusetzen.

Die Ausübung des Umgangs kann ausnahmsweise nur dann von einem negativen Corona-Test abhängig gemacht werden, wenn etwa Covid 19-typische Symptome vorliegen oder Kontakt mit einer erkrankten Person bestand.


3. Was tun bei einer möglichen Infektion des Vaters?

Es gibt eine Umgangsregelung, nach der der Vater sein Kind alle zwei Wochen am Wochenende sieht. Das Kind lebt bei der Mutter. Das letzte Umgangswochenende ist gerade vorüber. Der Vater des Kindes ist derzeit wegen Husten krankgeschrieben und möchte sein Kind sehen. Er sagt, der Husten sei unbedenklich. Die Mutter ist verunsichert, da sie natürlich eine Infektion verhindern möchte und soziale Kontakte derzeit meidet. Sie ist nicht sicher, dass der Husten unbedenklich ist und fragt nach, wie sie sich verhalten soll.

Hier ist abzuwägen zwischen den Interessen des Vaters, der Mutter und des Kindes. Der Vater möchte sein Kind sehen, das ist nachvollziehbar. Aber auch die Bedenken der Mutter, die zur Verhinderung einer Ansteckung Sozialkontakte verringern möchte, sind nachvollziehbar.

Das OLG Nürnberg und das OLG Braunschweig haben entschieden, dass in diesem Fall die Vorlage eines negativen Corona-Tests verlangt werden kann, bevor der Umgang stattfindet. Das gilt immer dann, wenn die Voraussetzungen nach den von den Gesundheitsämtern vorgegebenen Richtlinien gegeben sind, etwa bei Vorliegen Covid 19-typischer Symptome oder bei Kontakt mit einer erkrankten Person.

4. Drohen Zwangsmaßnahmen bei einer Verweigerung des Umgangsrechts?

Hat die Mutter Zwangsmaßnahmen zu befürchten, wenn Sie dem Vater aus den zuvor genannten Gründen den Umgang verweigert?

Wenn die Mutter wie im obigen Fall den Umgangskontakt aus übergeordneten Gründen nicht stattfinden lässt, weil sie die Sozialkontakte verringern und Ansteckungen vermeiden will, ist ihr dieses Verhalten nicht vorwerfbar. Anders sieht es aus, wenn die Mutter bereits in der Vergangenheit jede Gelegenheit genutzt hat, um Umgangskontakte zu verhindern.

Wenn also das Argument „Coronavirus“ nur vorgeschoben wird, können im Nachgang Zwangsmaßnahmen gegen die Mutter verhängt werden.

5. Muss das Kind mit Zug oder Flugzeug zur Mutter reisen?

Gemäß einer bestehenden Umgangsvereinbarung reist das Kind alle vier Wochen alleine mit dem Flugzeug oder dem Zug vom Vater zur Mutter. Soll diese Fahrt nun stattfinden?

Vor dem Hintergrund der aktuellen Empfehlungen ist von einem solchen Umgang dringend abzuraten. Zwar wird auch hier nicht verkannt, dass das Ausfallen des Umgangs sowohl dem umgangsberechtigten Elternteil – hier der Mutter – als auch dem Kind, missfallen wird. Jedoch ist vor dem aktuellen Hintergrund dieses beiden Beteiligten zuzumuten. Wir gehen davon aus, dass Gerichte dieses Vorgehen bestätigen werden.


6. Wohin mit dem Kind, wenn Schule oder Kita geschlossen sind?

Es gibt eine Umgangsregelung, wonach das Kind die Zeit nach Schulschluss am Dienstag bis zum Schulbeginn am Mittwoch beim Vater verbringt. Der Vater holt das Kind dienstags an der Schule ab und bringt es mittwochs zu Schulbeginn wieder dorthin. Nun findet die Schule nicht statt. Wo bleibt das Kind während der Zeiten, in denen eigentlich Schule wäre?

Hier muss die Umgangsvereinbarung genau geprüft werden. Oft enthalten die Umgangsvereinbarungen Regelungen für die Ferienzeiten, an die man sich hier halten kann. Wenn also zum Beispiel in den Ferienzeiten der Vater das Kind dienstags um 12:00 Uhr bei der Mutter abholt und mittwochs um 12:00 Uhr wieder zur Mutter bringt, so sollte diese Regelung auf die aktuelle schulfreie Zeit angewendet werden. Natürlich gilt all dies nur, wenn beide Eltern die Betreuung sicherstellen können. Vorrangig ist daher sicherlich zu ergründen, ob ein solcher Wechsel für beide Eltern überhaupt machbar ist.

Gibt es keine Regelung, die außerhalb der Schulzeiten gilt, sollten sich die Eltern natürlich auf eine Lösung verständigen. Diese könnte so aussehen, dass das Kind am ersten Tag bis zur Zeit des eigentlichen Schulschlusses bei der Mutter ist, dann vom Vater abgeholt wird und am nächsten Tag zur Schulschlusszeit wieder zur Mutter gebracht wird. Letztendlich geht es hier um eine faire Verteilung der schulfreien Zeit.


7. Wer übernimmt die Kinderbetreuung, wenn die Umgangsregelung nicht beachtet wird?

Ein ganz anderes Problem: Das Kind lebt bei der Mutter, und der Vater sieht das Kind jedes zweite Wochenende und jeden Mittwochnachmittag. Nun hat das Kind schulfrei. Der Vater verweigert jedoch den Umgang, da er eine Ansteckung befürchtet. Die Mutter hat nun ein Problem mit der Betreuung – sie müsste nämlich eigentlich auch arbeiten, denn ihr Arbeitgeber droht mit Kündigung.

Ein schwieriger Fall: Man kann den Vater nicht dazu zwingen, Umgang zu haben. Zwar kann man in einem gerichtlichen Verfahren Umgangszeiten festlegen lassen, die auch vollstreckbar sind. Und wenn der Vater wie hier im Beispiel seine Zeiten dann nicht einhält, können ihm die Kosten einer anderweitigen Kinderbetreuung auferlegt werden. Diese allgemeine Regel hilft hier jedoch nicht: Einerseits bekommt man nicht so schnell eine gerichtliche Entscheidung. Andererseits wird man auch gar keine Kinderbetreuung finden, da man die Sozialkontakte reduzieren soll und dementsprechend weder auf Babysitter noch auf die Großeltern zurückgreifen kann.

In diesem Fall hat die Mutter keine Wahl: Wenn das Kind betreuungsbedürftig ist und sie auf niemanden zurückgreifen kann, muss sie die Betreuung selber abdecken und auf das Verständnis des Arbeitgebers hoffen. Das ist natürlich unbefriedigend als Ergebnis, da der Vater hier seiner gemeinsamen Elternverantwortung nicht gerecht wird.


8. Wie gehe ich damit um, wenn der Vater sich nicht an die Verhaltensregeln der Behörden hält?

Wenn der Umgangsberechtigte die geltenden Abstandsregeln ignoriert und Sozialkontakte nicht einschränkt, gefährdet er damit auch das Kind. In einem solchen Fall kann die Mutter sicherlich gefahrlos den Umgang unterbinden.

Schwieriger wird es allerdings, wenn ein solches Verhalten lediglich vermutet wird, der Vater dies aber abstreitet. In dieser Situation sollte die Mutter den offenen Austausch suchen und klarstellen, dass es ihr nicht um eine Verweigerung des Umgangs geht, sondern dass sie eine berechtigte Sorge um die Gesundheit ihres Kindes hat. Eventuell kann der entfallene Umgang ja durch Angebote wie tägliches Skypen oder einen längeren Umgang nach Ende der Corona-Krise kompensiert werden.

Dies ist ein kleiner Ausschnitt der Fragen, die uns in diesen Tagen erreicht haben. Allen ist gemein, dass man derzeit oft nur auf der Basis von anwaltlichen Erfahrungswerten vermuten kann, wie die Gerichte wohl mit diesen Fragestellungen im Nachhinein umgehen werden. In einigen Fällen gibt es aber bereits erste Entscheidungen, die als Orientierung herangezogen werden können.

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