1. Wann liegt eine abmahnfähige Beleidigung vor?

Aus dem Arbeitsvertrag hat der Arbeitnehmer verschiedene Pflichten zu erfüllen. Diese umfassen – unter anderem – ein respektvolles und höfliches Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Kollegen. Die Beleidigung am Arbeitsplatz stellt daher eine Verletzung nebenvertraglicher Pflichten dar.

Durch eine Abmahnung wird der Arbeitnehmer auf sein Fehlverhalten hingewiesen. Üblicherweise wird dabei für zukünftige, gleichartige Verstöße eine Kündigung angedroht.

Die Abmahnung hat eine Rüge-, Hinweis- und Warnfunktion. Voraussetzung ist ein konkretes Fehlverhalten, wie zum Beispiel eine Beleidigung oder Respektlosigkeit:

Inhaltliche Beleidigung

Als Beleidigung können nicht nur Schimpfworte aufgefasst werden, sondern auch Gesten, wie der erhobene Mittelfinger. Bezeichnet der Mitarbeiter seinen Chef z.B. als „Arschloch“, so liegt ganz offensichtlich eine Ehrverletzung vor. Eine tätliche Beleidigung – wie das Anspucken – hat ebenfalls beleidigenden Charakter. Ebenso umfasst ist das Verbreiten von unwahren Behauptungen über eine Person in Form der Verleumdung oder üblen Nachrede. Dabei kommt es unter anderem darauf an, ob die Behauptung nachweislich wahr oder falsch ist und ob dem Mitarbeiter dies bewusst war.

Formalbeleidigung

Auch wenn eine beleidigende Tatsachenbehauptung wahr ist, kann sie bei einer gehässigen oder tendenziös schikanierenden Formulierung herabwürdigend sein. In diesem Fall handelt es sich um eine Formalbeleidigung. Ein Beispiel ist die Bezeichnung eines Homosexuellen als „Schwuchtel“.

Respektlosigkeit

Was aber, wenn der Arbeitnehmer seinen Vorgesetzten oder Kollegen nicht direkt beleidigt, sondern „nur“ einen unhöflichen Kommentar zum Besten gibt? In derartigen Fällen haben Arbeitsgerichte in der Vergangenheit eine Abmahnung bei respektlosem oder unhöflichem Verhalten regelmäßig als wirksam erachtet. So ist es beispielsweise abmahnfähig, seinem Vorgesetzten ein „beschissenes Wochenende“ zu wünschen oder einem Kunden eine unfreundliche Antwortmail zu senden. Dabei muss die Äußerung keine Beleidigung im strafrechtlichen Sinne sein. Auch bei einer vorangegangenen angespannten Situation muss der Vorgesetzte das unangemessene Verhalten nicht einfach hinnehmen. Respektlosigkeiten können in der Regel abgemahnt werden. Eine einmalige unhöfliche Bemerkung kann normalerweise allerdings keine Kündigungserklärung nach sich ziehen. Sollte dies dennoch der Fall sein, ist ein genauerer Blick auf die Wirksamkeit der Kündigung sinnvoll.

Sie wurden bereits abgemahnt oder befürchten, demnächst ein Abmahnungsschreiben zu erhalten? Erfahren Sie hier, was eine Abmahnung für Sie bedeutet.

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2. Ordentliche Kündigung wegen Beleidigung: Ist die Abmahnung entbehrlich?

Hat ein Mitarbeiter seinen Chef beleidigt, ist eine verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Zusammenarbeit nicht mehr zu erwarten ist. Die Kündigung soll keine Strafe für vergangenes Verhalten sein. Daher kommt es nicht darauf an, ob sie als Sanktion angemessen ist, sondern ob in Zukunft weitere Vertragspflichtverletzungen zu erwarten sind. In der Regel kann diese Zukunftsprognose aber erst nach einer Abmahnung getroffen werden. Fehlt die Abmahnung, so ist die Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen häufig unwirksam.

Die Abmahnung ist das mildere Mittel zur Kündigung und soll den Arbeitnehmer darauf aufmerksam machen, sich angemessen zu verhalten. Es wird also zunächst eine Abmahnung ausgesprochen. Kommt es danach zu weiteren gleichartigen Pflichtverletzungen wird eine Kündigung erteilt. Eine besonders schwere Beleidigung kann das Arbeitsverhältnis aber auch ohne Wiederholung dauerhaft belasten. Ausnahmsweise kann eine Kündigung dann auch ohne vorherige Abmahnung gerechtfertigt sein.

Tipp: Auch eine eigentlich unwirksame Kündigung wird wirksam, wenn nicht innerhalb von 3 Wochen ab Zugang der Kündigung Klage erhoben wird. Lassen Sie daher nicht unnötig viel Zeit verstreichen. Wenn Sie unsicher sind, ob das Vorgehen gegen die Kündigung sinnvoll ist, helfen Ihnen unsere Fachanwälte für Arbeitsrecht gerne weiter.

3. Kann eine Beleidigung sogar zur fristlosen Kündigung führen?

In besonderen Fällen kann dem Arbeitnehmer ohne vorherige Abmahnung sogar fristlos gekündigt werden. Die fristlose Kündigung ist – im Unterschied zur ordentlichen Kündigung – nur dann möglich, wenn dem Arbeitgeber ein Abwarten der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar ist. Dies kann vorkommen, wenn eine Änderung des Verhaltens nicht zu erwarten ist oder bei einer besonders schweren, z.B. öffentlichen Beleidigung. Durch die nachhaltige Schädigung des Arbeitsklimas ist eine Abmahnung dann nicht mehr ausreichend. Ein störungsfreier Arbeitsablauf kann nur noch durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erreicht werden.

Beispiel aus der Praxis: Das Arbeitsgericht Köln hatte über die fristlose Kündigung eines Arbeitnehmers zu entscheiden, der seinen Kollegen rassistisch beleidigt hatte (Urteil vom 09.11.2018 – Az. 18 Ca 7824/17). Der Gekündigte war zum Zeitpunkt der Kündigung seit 13 Jahren als Serviceagent in einem Logistikunternehmen beschäftigt und Mitglied des Betriebsrats. Als es auf der Betriebsratssitzung zu einem Wortwechsel mit einem dunkelhäutigen anderen Betriebsrat kam, soll der später Gekündigte Affenlaute („Ugah Ugah“) ausgestoßen haben.
 
Das Arbeitsgericht hat die Kündigung für rechtmäßig erklärt. Dabei wurde auch berücksichtigt, dass der Gekündigte bereits in der Vergangenheit wegen ähnlicher Verhaltensweisen abgemahnt worden war und sich im Nachgang an die Beleidigung äußerst uneinsichtig gezeigt hat. So hatte dieser etwa behauptet, die Äußerungen hätten lediglich der „Auflockerung der Gesprächsatmosphäre“ gedient oder gehörten zum „gepflegten Umgang“.
 
Der Gekündigten ging daraufhin in Berufung, welche das Landesarbeitsgericht Köln aber zurückwies (Urteil vom 06.06.2019 – Az. 4 Sa 18/19). Auch eine Beschwerde des Gekündigten vor dem Bundesarbeitsgericht scheiterte (Beschluss vom 23.02.2019 – Az. 2 AZN 824/19).
 
Da sich der Gekündigte durch die Gerichtsentscheidungen in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt sah, wandte er sich schließlich mit einer Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht. Die Karlsruher Richter entschieden jedoch, dass die Arbeitsgerichte die Bedeutung der Meinungsfreiheit nicht verkannt haben (Beschluss vom 02.11.2020 – Az. 1 BvR 2727/19). Eine menschenverachtende Diskriminierung – so wie es die Äußerungen des Gekündigten sind – lasse sich nicht unter Berufung auf die Meinungsfreiheit rechtfertigen.

Dennoch soll die außerordentliche Kündigung nur als letztes mögliches Mittel eingesetzt werden. In jedem Einzelfall muss der Arbeitnehmer eine Gesamtabwägung vornehmen. Dabei soll das Interesse des Vorgesetzten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem Fortsetzungsinteresse des Arbeitnehmers gegenübergestellt werden. Auch die Chancen des Mitarbeiters auf dem Arbeitsmarkt, sowie die Dauer der Beschäftigung und etwaige Unterhaltspflichten werden dabei miteinbezogen.

4. Abmahnung oder sofortige Kündigung: Diese 7 Faktoren sind maßgeblich

Welche Folgen eine missbilligende Äußerung haben kann, hängt unter anderem von diesen Faktoren ab.

1. Wer hat Kenntnis von der Beleidigung?

Im privaten oder familiären Umfeld kann ein Arbeitnehmer offener seinen Unmut kundtun als unter Kollegen, per WhatsApp, direkt gegenüber dem Vorgesetzten oder z.B. öffentlich im Internet.

2. Wie ist der übliche Umgangston in der Branche?

Auf einer Baustelle herrscht in der Regel ein rauerer Umgangston als in einem Büro oder einer Privatklinik. Dementsprechend sind auch die Äußerungen, die im Alltag gemacht werden unterschiedlich zu bewerten.

3. In welcher Situation kam es dazu?

Es macht einen Unterschied, ob die Ehrverletzung während einer sachlichen Besprechung oder in ausgelassener Stimmung auf einer Betriebsfeier begangen wurde. Sind vorangegangene Provokationen des Gegenübers der Auslöser für eine unangemessene Äußerung, ist diese eher nachvollziehbar als eine grundlose Beleidigung.

4. War die Aussage ernst gemeint?

Eine scherzhafte Bemerkung über das kleinkarierte, neue Hemd des Vorgesetzten kann verletzend sein, ist aber längst nicht mit einer ernsthaften, hasserfüllten Beleidigung gleichzusetzen.

5. Besteht Wiederholungsgefahr?

Handelt es sich um einen einmaligen Ausrutscher, ist dieser anders zu bewerten, als wiederkehrendes respektloses Verhalten.

6. Wie schwerwiegend ist das Verhalten?

Art und Schwere der Beleidigung spielen ebenfalls eine Rolle bei der Einordnung. So haben Schimpfworte oder eine tätliche Beleidigung – wie das Bespucken – eine andere Qualität als ein unüberlegter, unfreundlicher Kommentar.

7. Wie ist der Bildungsgrad des Arbeitnehmers?

An einen Akademiker werden strengere Anforderungen bzgl. des Verhaltens gestellt als z.B. an einen Mitarbeiter mit geringer Bildung.

Tipp: Die Beweispflicht für das Fehlverhalten des Arbeitnehmers liegt beim Arbeitgeber. Sollte die Beleidigung z.B. online verfügbar sein, so sollte der Beweis durch einen Screenshot abgesichert werden, bevor der Eintrag gelöscht wird. Ansonsten sind natürlich auch Zeugenaussagen als Beweismittel hilfreich. Jeder Vorfall sollte möglichst genau, auch mit Ort und Datum notiert werden.

5. Fazit

  • Ein respektloses, beleidigendes Verhalten gegenüber Kollegen oder Vorgesetzten verletzt die Rücksichtnahmepflichten aus dem Arbeitsvertrag.
  • Ein geringfügiger Verstoß führt in der Regel zu einer Abmahnung, die den Arbeitnehmer auf sein Fehlverhalten hinweist und im Falle einer Wiederholung die Kündigung androht. Dadurch erhält der Mitarbeiter die Chance, sein Verhalten zu verbessern.
  • Nach wiederholt unhöflichen Äußerungen oder Beleidigungen folgt die Kündigung.
  • Bei einer besonders groben Beleidigung ist eine ordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung oder sogar eine fristlose Kündigung möglich.
  • Welche Maßnahme angemessen ist, hängt von der Schwere der Beleidigung, der konkreten Situation und Branche, sowie von einer Zukunftsprognose ab.