Die gleichberechtigte Teilhabe schwerbehinderter Menschen ist ein besonderes Anliegen der deutschen Gesetzgebung. Daher genießen Schwerbehinderte einen besonderen Kündigungsschutz, der in den §§ 168-175 SGB IX geregelt ist.

Dennoch sind Schwerbehinderte nicht unkündbar. Im folgenden Artikel erklären wir, wann ein besonderer Kündigungsschutz besteht und was bei der Kündigung Schwerbehinderter zu beachten ist.

  1. Wie schützt der besondere Kündigungsschutz vor einer Kündigung?
  2. Ausnahmen vom Zustimmungserfordernis
  3. Welche Aufgabe hat das Integrationsamt?
  4. Für wen gilt der besondere Kündigungsschutz?
  5. Kündigung trotz Schwerbehinderung – wie reagieren?
  6. Fazit
  7. Video

1. Wie schützt der besondere Kündigungsschutz vor einer Kündigung?

Über den allgemeinen Kündigungsschutz hinaus werden Schwerbehinderte nach § 168 SGB IX zusätzlich bei einer Kündigung geschützt. Die Vorschrift gibt ein besonderes Verfahren bei einer Kündigung von Schwerbehinderten vor.

Dieser Sonderkündigungsschutz bedeutet nicht, dass Schwerbehinderten per se nicht gekündigt werden kann. Doch im Unterschied zur Kündigung von nicht behinderten Arbeitnehmern muss der Arbeitgeber hierbei ein besonderes Verfahren einhalten: Bevor er einem schwerbehinderten Arbeitnehmer kündigt, muss er die Zustimmung des Integrationsamtes einholen.

Beachtet der Arbeitgeber dies nicht und kündigt ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamts, ist diese Kündigung allein wegen des Verfahrensverstoßes unwirksam, selbst wenn die Kündigung dem Grunde nach rechtens gewesen wäre.

Der Sonderkündigungsschutz gilt unabhängig von der Betriebsgröße. Daher muss auch in Kleinbetrieben, in denen das Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar ist, vor der Kündigung eines Schwerbehinderten die Zustimmung des Integrationsamts eingeholt werden.


2. Ausnahmen vom Zustimmungserfordernis

Eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist zustimmungsfrei, wenn der schwerbehinderte Arbeitnehmer einvernehmlich mit dem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag abschließt, wenn der schwerbehinderte Arbeitnehmer selbst kündigt oder ein befristetes Arbeitsverhältnis durch Fristablauf sein Ende findet.

In bestimmten Fällen kann auch eine Kündigung durch den Arbeitgeber zustimmungsfrei sein:

Diese und weitere Ausnahmeregelungen sind in § 173 SGB IX näher geregelt.

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3. Welche Aufgabe hat das Integrationsamt?

Das Integrationsamt prüft, aus welchen Gründen die vom Arbeitgeber beabsichtigte Kündigung erfolgt. Hierbei hat das Integrationsamt die besondere Schutzwürdigkeit schwerbehinderter Arbeitnehmer im Betrieb zu beachten. Die Kündigung darf nicht in einem Zusammenhang mit der Behinderung des betroffenen Arbeitnehmers stehen.

Sofern ein Betriebs- oder Personalrat oder eine Schwerbehindertenvertretung besteht, muss das Integrationsamt deren Stellungnahmen einholen.

Zudem hat das Integrationsamt den schwerbehinderten Arbeitnehmer anzuhören, § 170 Abs. 2 SGB IX.

Die Entscheidung des Integrationsamts soll gemäß § 171 Abs. 1 SGB IX innerhalb eines Monats erfolgen. Dies bedeutet zugleich aber auch, dass eine Überschreitung der Frist möglich ist. Der Arbeitgeber kann das Verfahren beschleunigen, indem er die Stellungnahmen etwaiger Beteiligter (z.B. Betriebsrat) vorab schon einholt und dem Antrag beilegt. Die Anhörung des betroffenen Arbeitnehmers muss gleichwohl zwingend durch das Integrationsamt selbst erfolgen.

Das Integrationsamt muss bei der Entscheidung alle für den Einzelfall relevanten Umstände berücksichtigen. Hierzu prüft es die vom Arbeitgeber angegebenen Kündigungsgründe, die Angaben des Arbeitnehmers und die Stellungnahme der weiteren Beteiligten.

Wenn der Arbeitnehmer beispielsweise wegen mehrfach unentschuldigten Fehlens bereits abgemahnt wurde und dieses Verhalten kurze Zeit später wiederholt, kann dies eine verhaltensbedingte Kündigung begründen. Denn Fehlverhalten des Arbeitnehmers wird nicht durch die §§ 168 ff. SGB IX geschützt. Ebenso kann eine Kündigung aus betriebsbedingten Gründen erfolgen. Dann prüft das Integrationsamt, warum genau dieser Arbeitsplatz wegfallen soll und ob der Arbeitgeber dem Betroffenen keinen gleichwertigen freien Arbeitsplatz zur Verfügung stellen kann.

Kommt das Integrationsamt zu dem Schluss, dass die Kündigung in keinem Zusammenhang mit der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers steht, wird es die Zustimmung zur Kündigung erteilen.

4. Für wen gilt der besondere Kündigungsschutz?

Der Sonderkündigungsschutz gilt für alle Arbeitnehmer mit Schwerbehinderung, unabhängig davon, ob es sich um einen leitenden Angestellten oder Azubi handelt.

Als schwerbehindert gilt eine Person ab einem Grad der Behinderung von 50 (§ 2 Abs. 2 SGB IX). Die Schwerbehinderteneigenschaft muss entweder offenkundig sein oder zum Zeitpunkt der Kündigung amtlich festgestellt sein.

Eine Ausnahme besteht, wenn ein Betroffener spätestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung einen Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter gestellt hat, über den noch nicht entschieden wurde, der aber zu einem späteren Zeitpunkt positiv beschieden wird. Voraussetzung ist auch hier, dass die Schwerbehinderung zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits vorgelegen hat. Die vorherige Antragstellung genügt aber dann nicht, wenn die Feststellung der Schwerbehinderung allein auf Grund fehlender Mitwirkung des Antragstellers nicht getroffen werden kann (§§ 173 Abs. 3, 152 Abs. 1 Satz 3 SGB IX). Soweit nicht bereits geschehen, muss der Betroffene dem Arbeitgeber seine Schwerbehinderung drei Wochen nach Zugang der Kündigung anzeigen, möchte er sich auf den besonderen Kündigungsschutz berufen. Gleiches gilt für einen neuen Antrag auf Feststellung einer Schwerbehinderung: Auch hierüber muss der Arbeitgeber binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigung informiert werden (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 06.07.2010, Az. 1 Sa 403 e/09).

Zudem können auch behinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von zumindest 30 unter den besonderen Kündigungsschutz fallen, wenn sie den Schwerbehinderten gleichgestellt wurden. Eine Gleichstellung behinderter Menschen erfolgt auf Antrag, wenn die Person aufgrund ihrer körperlichen Behinderung keine geeignete Arbeit findet oder eine vorhandene Arbeitsstelle infolge der Behinderung aufgeben muss. Auch in diesen Fällen greift der besondere Kündigungsschutz ausnahmsweise schon vor der Entscheidung über die Gleichstellung, wenn der Betroffene den Antrag mindestens drei Wochen vor der Kündigung gestellt und ohne Beanstandung mitgewirkt hat.


5. Kündigung trotz Schwerbehinderung – wie reagieren?

Wurde der Betroffene ohne erforderliche Zustimmung des Integrationsamts gekündigt, kann er vor dem Arbeitsgericht klagen mit dem Ziel, die Unwirksamkeit der Kündigung feststellen zu lassen.

Wurde der Betroffene mit Zustimmung des Integrationsamts gekündigt, kann er gegen die Entscheidung des Integrationsamts Widerspruch einlegen. Zugleich kann er gegen die Kündigung Kündigungsschutzklage erheben, um die Kündigung durch das Arbeitsgericht prüfen zu lassen.

6. Fazit

  • Schwerbehinderte sind nicht unkündbar, aber durch ein formales Verfahren vor Ausspruch einer Kündigung besonders geschützt.
  • Der besondere Kündigungsschutz gilt für Schwerbehinderte und ihnen gleichgestellten Personen.
  • Der Arbeitgeber muss das Integrationsamt vor Ausspruch der Kündigung um Zustimmung bitten.
  • Das Integrationsamt prüft den Fall umfassend und hört hierzu auch den betroffenen Arbeitnehmer an.
  • Bei erteilter Zustimmung und Kündigung bleibt dem Schwerbehinderten die Möglichkeit, Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht erheben.

7. Video