- Die Verdachtskündigung im Arbeitsrecht
- Voraussetzungen einer Verdachtskündigung
- Ist eine Abmahnung erforderlich?
- Anhörung des Arbeitnehmers und des Betriebsrats
- Interessenabwägung
- Frist für die Kündigungserklärung nach § 626 Abs. 2 BGB
- Bekannte Rechtsprechung zu Diebstahl in Bagatellfällen
- Fazit & Praxistip
1. Die Verdachtskündigung im Arbeitsrecht
Wer den besonderen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz genießt, der kann ordentlich (fristgemäß) nur aus personen-, verhaltens– oder betriebsbedingten Gründen gekündigt werden. Eine außerordentliche Kündigung (§ 626 BGB), die oft fristlos ausgesprochen wird, erfordert einen wichtigen Kündigungsgrund, kann also ebenfalls nicht „grundlos“ erfolgen.
Gewöhnlich muss dem Arbeitnehmer ein Verstoß gegen arbeitsrechtliche Pflichten nachgewiesen werden, wenn dieser Pflichtenverstoß eine Kündigung begründen soll. Man spricht von einer sogenannten Tatkündigung. Möglich ist aber auch eine Kündigung aufgrund des bloßen Verdachts einer Pflichtverletzung (Verdachtskündigung). Als Kündigungsgrund reicht dann schon die begründete Vermutung aus, dass ein Arbeitnehmer gegen arbeitsrechtliche Pflichten verstoßen hat, weil etwa ein Diebstahl am Arbeitsplatz im Raum steht und der Arbeitnehmer dessen dringend verdächtig ist. Meistens wird die Verdachtskündigung als außerordentliche und fristlose Kündigung ausgesprochen.
2. Voraussetzungen einer Verdachtskündigung
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG v. 23.06.2009 – Az. 2 AZR 474/07) kann der begründete Verdacht einer Straftat am Arbeitsplatz oder sonst einer schweren Pflichtenverfehlung eine Verdachtskündigung rechtfertigen. Dafür müssen nach dem BAG folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- objektive, d.h. nachweisbare Tatsachen begründen den starken Verdacht eines erheblichen Pflichtverstoßes (z.B. Diebstahl oder körperliche Gewalt am Arbeitsplatz)
- der Arbeitgeber hat versucht, den Sachverhalt hinreichend aufzuklären und hat dafür auch den verdächtigen Arbeitnehmer angehört
- der erhärtete Verdacht ist dazu geeignet, das für ein Arbeitsverhältnis erforderliche Vertrauen des Arbeitgebers in den Arbeitnehmer ernsthaft und nachhaltig zu erschüttern
- Eine Interessenabwägung zwischen dem (sofortigen) Beendigungsinteresse des Arbeitgebers und dem Fortsetzungsinteresse des Arbeitnehmers hat ein Überwiegen der Arbeitgeberinteressen ergeben.
3. Ist eine Abmahnung erforderlich?
Bei der Verdachtskündigung handelt es sich um einen Unterfall der personenbedingten Kündigung des Arbeitnehmers; aufgrund des begründeten Verdachts eines Pflichtverstoßes des Arbeitnehmers ist nämlich das Vertrauen des Arbeitgebers in die Person des Arbeitnehmers so erschüttert, dass dieser für eine weitere (vertrauensvolle) Zusammenarbeit nicht mehr als geeignet erscheint. Eine vorige Abmahnung ist daher (regelmäßig) nicht erforderlich und würde insoweit auch keinen Sinn machen. Denn der Sinn der Abmahnung liegt ja gerade darin, vor einer Wiederholung eines bewiesenen Verstoßes unter Androhung der Kündigung zu warnen.
In einer Konstellation kann eine vorherige Abmahnung für den Ausspruch einer Verdachtskündigung dennoch notwendig sein: Steht lediglich der Verdacht eines Diebstahls am Arbeitsplatz geringwertiger Sachen im Bagatellbereich von wenigen Euro im Raum, dann kann es sein, dass eine Verdachtskündigung nur dann möglich ist, wenn der Arbeitnehmer bereits in der Vergangenheit wegen eines ähnlichen (erwiesenen) Verstoßes abgemahnt wurde. Denn da nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG v. 10.06.2010 – Az. 2 AZR 541/09 – „Emmely“) ein erwiesener einmaliger Verstoß ohne Abmahnung für eine sofortige Kündigung wegen eines Bagatellvergehens (z.B. Diebstahl geringwertiger Sachen) oft nicht ausreicht, muss dies erst recht gelten, wenn lediglich ein begründeter Verdacht auf einen Bagatellverstoß besteht.
4. Anhörung des Arbeitnehmers und des Betriebsrats
Vor dem Ausspruch einer Verdachtskündigung muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in jedem Fall anhören – eine ausgesprochene Verdachtskündigung ohne vorherige Anhörung ist unverhältnismäßig und daher unwirksam. Denn der Pflicht des Arbeitgebers, den Sachverhalt hinsichtlich des im Raum stehenden Verdachts hinreichend aufzuklären, kommt dieser nur dann nach, wenn er den Arbeitnehmer zu diesem Verdacht gehört hat.
Eine Anhörung gilt nur dann als ordnungsgemäß erfolgt, wenn diese bezogen auf den im Raum stehenden Verdacht erfolgt und dem Arbeitnehmer die ausreichende Gelegenheit bietet, sich zu verteidigen, indem er etwa entlastende Tatsachen vorträgt. Muss der Arbeitgeber daraufhin erneute Nachforschungen anstrengen, kann es sein, dass der Arbeitgeber erneut befragt werden muss.
Weigert sich der Arbeitnehmer, sich anhören zu lassen und damit an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken, hat der Arbeitgeber seiner Anhörungspflicht Genüge getan – ein erneutes Anhörungsangebot ist dann überflüssig (BAG v. 28.11.2007 – Az. 5 AZR 952/06). Dies gilt aber wiederum nur dann, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auch mitgeteilt hatte, warum er ihn anhören wollte. Einem bloßen Anhörungsersuchen des Arbeitgebers ohne nähere Angabe von konkreten Gründen muss der Arbeitnehmer nicht nachkommen.
Da der Betriebsrat vor jeder Kündigung anzuhören ist (§ 102 Betriebsverfassungsgesetz – BetrVG), muss der Arbeitgeber sich auch an den Betriebsrat wenden, bevor er eine Verdachtskündigung aussprechen darf. Tut er dies nicht, ist die Kündigung ebenfalls unwirksam.
5. Interessenabwägung
Die Verdachtskündigung ist nur dann ordnungsgemäß, wenn das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers das Interesse des Arbeitnehmers an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses überwiegt, die Kündigung also verhältnismäßig ist. Je länger der Arbeitnehmer beim Arbeitgeber ohne Beanstandungen beschäftigt war, desto schwerer muss der Verstoß sein, der ihm zur Last gelegt wird und welcher eine Kündigung rechtfertigen soll.
6. Frist für die Kündigungserklärung nach § 626 Abs. 2 BGB
Wichtig ist in diesem Fall die Beachtung der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB für die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung. Denn diese muss innerhalb von zwei Wochen erfolgen, nachdem der Arbeitgeber von den Tatsachen Kenntnis erlangt hat, auf die er seine Verdachtskündigung stützen will. Steht die Begehung einer Straftat im Raum, kann der Arbeitgeber den Ausgang eines strafrechtlichen Ermittlungs- bzw. Strafverfahren abwarten, bevor er eine außerordentliche Verdachtskündigung erklärt. Treten im Lauf des Verfahrens neue Tatsachen zutage, die den Verdacht des Arbeitgebers erhärten, kann dieser seine Kündigung auch auf diese neuen Umstände stützen. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber bereits eine Verdachtskündigung erklärt hat. Umgekehrt darf der Arbeitgeber während eines Strafverfahrens aber nicht „willkürlich“ zu jedem beliebigen Zeitpunkt kündigen; die Kündigung muss vielmehr innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis derjenigen Tatsachen erfolgen, auf die der Arbeitgeber seine Kündigung stützt. Die Frage einer „rechtzeitigen“ Kündigung kann also im Einzelfall schwierig sein – hier hilft ein Rechtsanwalt für Arbeitsrecht weiter.
7. Bekannte Rechtsprechung zu Diebstahl in Bagatellfällen
Im „Bienenstichfall“ hatte das BAG (Urt. v. 17.05.1984 – Az. 2 AZR 3/83) ausgeführt, dass auch der Diebstahl geringwertiger Sachen (hier: eines Bienenstichs) eine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen kann. Hier soll u.a. entscheidend sein, ob es sich um speziell dem Arbeitnehmer anvertraute Gegenstände handelt, die gestohlen wurden. Im oben angesprochenen Fall „Emmily“ hatte das BAG befunden, dass die Kündigung einer langjährigen Mitarbeiterin wegen des Verdachts eines Bagatelldiebstahls (hier: Die Einlösung von Pfandbons in einem Supermarkt) ohne vorherige Abmahnung unwirksam ist.
8. Fazit und Praxistipp
Wer als Arbeitnehmer mit dem Vorwurf einer Verdachtskündigung konfrontiert wird, sollte am besten sofort, d.h. noch vor Durchführung der Anhörung einen Anwalt für Arbeitsrecht hinzuziehen – eine Anhörung ist nur dann wirksam, wenn dem Arbeitnehmer die Gelegenheit eingeräumt wurde, einen Anwalt hinzuzuziehen.
Wird die Kündigung ausgesprochen, kann der Arbeitnehmer, wie in unserem Beitrag zur Kündigungsschutzklage beschrieben, innerhalb von drei Wochen Kündigungsschutzklage nach § 4 Kündigungsschutzgesetz einlegen.
Im Rahmen einer Verdachtskündigung bestehen viele Fallstricke für den Arbeitgeber bzw. Verteidigungsmöglichkeiten für den Arbeitnehmer. Häufig wird der Arbeitgeber versuchen, neben der Verdachtskündigung eine Tatkündigung auszusprechen, falls ein Beweis der Vorwürfe als möglich erscheint. Bei einer außerordentlichen Kündigung wird der Arbeitgeber mitunter eine zusätzliche hilfsweise ordentliche (fristgemäße) Kündigung aussprechen, um sich zusätzlich abzusichern.